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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Zigarettenpause gemacht. Meine genervte Reaktion auf Justin am Vorabend war bei allen angekommen.
    Er war noch immer sauer auf mich. Ich ignorierte ihn den ganzen Nachmittag. Das beleidigte Schweigen machte mir zu schaffen, aber Lexies Dickköpfigkeit wäre nicht angekratzt worden, höchstens ihre Konzentrationsfähigkeit. Erst beim Abendessen – Schmortopf, so dick, dass er kaum noch als Flüssigkeit gelten konnte – sagte ich etwas. Das ganze Haus duftete wunderbar, satt und warm. »Reicht’s noch für einen Nachschlag?«, fragte ich Justin.
    Er zuckte die Achseln, ohne mich anzusehen. »Primadonna«, sagte Rafe halblaut.
    »Justin«, sagte ich. »Bist du noch immer böse, weil ich gestern Abend so rumgezickt habe?«
    Wieder ein Achselzucken. Abby, die mir gerade die Schüssel hatte reichen wollen, stellte sie wieder hin.
    »Ich hatte Schiss, Justin. Ich hatte Angst, ich gehe heute dahin, und die Ärzte sagen mir, dass irgendwas nicht stimmt und ich nochmal operiert werden muss oder so.« Er schaute auf, ein kurzer, nervöser Blick, ehe er sich wieder darauf konzentrierte, sein Brot zu zerbröseln. »Ich bin nicht damit klargekommen, dass du auch Angst hast. Es tut mir ehrlich leid. Verzeihst du mir?«
    »Na ja«, sagte er nach kurzem Zögern mit einem ganz leisen Lächeln. »Ich glaub schon.« Er beugte sich vor und stellte die Schüssel neben meinen Teller. »Und jetzt. Iss das auf.«
    »Was haben die Ärzte denn nun gesagt?«, fragte Daniel. »Du musst doch nicht noch mal operiert werden, oder?«
    »Nein, nein«, sagte ich und lud meinen Teller voll. »Nur weiter Antibiotika nehmen. Die meinen, ich könnte immer noch eine Infektion bekommen.« Als ich es laut aussprach, durchzuckte mich etwas, irgendwo unter dem Mikro.
    »Haben sie irgendwelche Tests gemacht? Dich geröntgt?«
    Ich hatte keinen Schimmer, was Ärzte in meinem Fall getan hätten. »Mir geht’s gut«, sagte ich. »Können wir aufhören, darüber zu reden?«
    »Braves Mädchen«, sagte Justin und deutete mit dem Kinn auf meinen Teller. »Heißt das, wir dürfen jetzt öfter als bloß einmal im Jahr was mit Zwiebeln machen?«
    Auf einmal hatte ich das entsetzliche Gefühl, dass mir der Magen absackte. Ich starrte Justin verständnislos an.
    »Na ja, wenn du noch mal nachnimmst«, sagte er geziert, »wird dir wenigstens nicht mehr schlecht davon, oder?«
    Scheißescheißescheiße . Da ich selbst so ziemlich alles esse, war ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass Lexie vielleicht bestimmte Sachen nicht mochte, und so etwas hätte Frank nicht unbedingt bei einem beiläufigen Gespräch herausfinden können. »Ich hab sie nicht mal rausgeschmeckt«, sagte ich. »Ich glaub, mein Geschmackssinn leidet unter den Antibiotika. Alles schmeckt gleich.«
    »Ich dachte, du magst die Konsistenz nicht«, sagte Daniel.
    Scheiße . »Ich mag den Gedanken nicht, Zwiebeln zu essen. Und jetzt, wo ich weiß, dass welche drin sind –«
    »Das ist meiner Oma passiert«, sagte Abby. »Die hat Antibiotika genommen und den Geruchssinn verloren. Darüber solltest du mit deinem Arzt sprechen.«
    »Um Gottes willen, nein«, sagte Rafe. »Jetzt, wo wir endlich was gefunden haben, damit sie nicht mehr über Zwiebeln meckert, sollten wir der Natur ihren Lauf lassen, finde ich. Nimmst du den Rest noch oder kann ich?«
    »Ich will meinen Geschmackssinn nicht verlieren und dann Zwiebeln essen«, sagte ich. »Da nehme ich lieber eine Infektion in Kauf.«
    »Gut. Dann her mit der Schüssel.«
    Daniel widmete sich wieder seinem Teller. Ich stocherte argwöhnisch auf meinem herum. Rafe verdrehte die Augen. Mein Herz raste. Früher oder später, dachte ich, unterläuft mir ein Fehler, aus dem ich mich nicht mehr rausreden kann.

    »Gute Reaktion bei den Zwiebeln«, sagte Frank am selben Abend. »Und wenn es so weit ist, dich abzuziehen, ist alles bestens vorbereitet: Die Antibiotika machen deinen Geschmackssinn kaputt, du hörst auf, sie zu nehmen, und voilà , schon hast du eine Infektion. Hätte ich auch selbst draufkommen können.«
    Ich saß oben in meinem Baum, die Gemeinschaftsjacke um mich gewickelt – es war eine bewölkte Nacht, feiner Nieselregen besprühte die Blätter und drohte, jeden Moment in einen richtigen Schauer überzugehen –, und lauschte angestrengt auf John Naylor. »Du hast mitgehört? Gehst du denn nie nach Hause?«
    »In letzter Zeit kaum. Wenn wir unseren Mann haben, kann ich noch lange genug schlafen. Apropos, mein Wochenende mit Holly ist demnächst.

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