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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Sekunde, ehe ich dahinterkam, wie sich das alles anfühlte: wie jener erste Abend in Whitethorn House, wo von mir erwartet worden war, dass ich alles um mich herum in- und auswendig kannte.
    »Hi«, sagte ich und lächelte zu ihm hoch.
    Er zog meinen Kopf an seine Schulter. »Gott«, seufzte er noch einmal. »Komm, wir vergessen diesen ganzen beknackten Fall und nehmen uns den Tag frei, ja?«
    »Das Treffen ist rein beruflich«, rief ich ihm in Erinnerung. »Schon vergessen? Du warst es, der mir verboten hat, die weiße Spitzenwäsche zu tragen.«
    »Ich hab’s mir anders überlegt.« Er ließ seine Hände über meine Arme gleiten. »Du siehst toll aus, weißt du das? Ganz entspannt und hellwach und längst nicht mehr so dünn. Der Fall tut dir gut.«
    »Landluft«, sagte ich. »Außerdem kocht Justin immer wie für zwölf. Wie geht’s denn jetzt weiter?«
    Sam seufzte noch einmal, ließ meine Hände los und lehnte sich gegen das Auto. »Meine drei Jungs kommen aufs Revier nach Rathowen, jeweils mit einer halben Stunde Abstand. Die Zeit müsste reichen. Vorläufig will ich nur ein Gefühl für sie kriegen, ohne sie aufzuscheuchen. Es gibt da keinen Beobachtungsraum, aber im Aufnahmebereich kannst du alles hören, was im Vernehmungszimmer passiert. Du kannst hinten warten, während ich sie reinführe, dich dann nach vorne zur Aufnahme schleichen und mithören.«
    »Ich würde auch gern einen Blick auf sie werfen«, sagte ich. »Lass mich doch einfach vorn rumsitzen. Könnte nicht schaden, wenn sie mich sehen. Wenn einer von ihnen unser Mann ist – für den Mord oder auch nur für die Sachbeschädigung –, dann wird er ziemlich heftig auf mich reagieren.«
    Sam schüttelte den Kopf. »Das macht mir ja gerade Sorgen. Weißt du noch neulich Nacht, als wir telefoniert haben und du dachtest, du hättest jemanden gehört? Falls einer von denen dich verfolgt und dann denkt, du redest mit uns … Wir wissen sowieso schon, dass er ziemlich aufbrausend ist.«
    »Sam«, sagte ich sanft und schob meine Finger zwischen seine, »genau das ist meine Aufgabe. Dafür sorgen, dass wir näher an ihn rankommen. Wenn du mich das nicht machen lässt, bin ich völlig überflüssig, nur jemand, der dafür bezahlt wird, gut zu essen und Schundromane zu lesen.«
    Nach einem Moment lachte Sam, ein kurzes, widerwilliges Ausatmen. »Stimmt«, sagte er. »In Ordnung. Schau dir die Jungs an, wenn ich sie wieder rausbringe.«
    Er drückte sacht meine Finger und ließ los. »Ehe ich’s vergesse« – er griff in sein Jackett –, »Mackey schickt dir die hier.« Es war eine Tablettendose wie die, die ich mit ins Whitethorn House gebracht hatte und auf der das Apothekenetikett unübersehbar verkündete, dass es sich um Amoxicillin handelte. »Ich soll dir von ihm bestellen, dass deine Wunde noch nicht ganz verheilt ist und der Arzt befürchtet, du könntest doch noch eine Infektion bekommen. Deshalb sollst du noch welche von denen hier nehmen.«
    »Na, wenigstens krieg ich genug Vitamin C«, sagte ich und steckte die Dose ein. Sie fühlte sich zu schwer an, zerrte seitlich an meiner Jacke. Der Arzt befürchtet … Frank bereitete langsam meinen Ausstieg vor.

    Das Polizeirevier von Rathowen war trostlos. Ich hatte schon viele in der Art gesehen, in irgendwelchen abgelegenen Winkeln des Landes verteilt: kleine Reviere, die in einem Teufelskreis stecken, weil sie sowohl von den Leuten, die Gelder vergeben, mit Verachtung gestraft werden als auch von den Leuten, die Posten vergeben, und überdies noch von jedem, der irgendwo im Universum eine andere Stellung ergattern kann. Der Aufnahmebereich bestand aus einem wackeligen Stuhl, einer Plakatwerbung für Fahrradhelme und einer Schaltertheke, hinter der Byrne stand, blicklos zur Tür hinausstarrte und Kaugummi kaute. Das Vernehmungszimmer diente offenbar gleichzeitig auch als Lagerraum: Es enthielt einen Tisch, zwei Stühle, einen Aktenschrank – nicht abschließbar –, einen Stapel mit Formularen für Zeugenaussagen und aus mir unerfindlichen Gründen in einer Ecke einen ramponierten Einsatzschild aus den achtziger Jahren. Der Bodenbelag war vergilbtes Linoleum, und an der Wand klebte eine zerquetschte Fliege. Kein Wunder, dass Byrne so aussah, wie er aussah.
    Ich blieb bei Byrne hinter dem Schalter, außer Sicht, während Sam versuchte, das Vernehmungszimmer ein bisschen auf Vordermann zu bringen. Byrne schob seinen Kaugummi in eine Backe und musterte mich mit einem langen, deprimierten Blick.

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