Totengleich
gelegen, und Rafe hatte beschlossen, jetzt könnten sie loslegen. Er und Daniel hatten den Tisch in ihre Waffenkammerzone umgewandelt – Werkzeugkasten, Geschirrtücher, Lappen – und waren emsig dabei, die Waffe mit alten Zahnbürsten zu putzen: Daniel attackierte die Dreckkruste an den Griffschalen, während Rafe sich den eigentlichen Revolver vornahm. Justin lag ausgestreckt auf dem Sofa, redete halblaut auf seine Arbeitsnotizen ein und aß dabei kaltes Popcorn aus einer Schüssel neben sich. Irgendwer hatte Purcell aufgelegt, eine friedliche Ouvertüre in Moll. Der ganze Raum roch nach Lösungsmittel und Rost, ein strenger, beruhigender, vertrauter Geruch.
»Wisst ihr was?«, sagte Rafe, legte seine Zahnbürste weg und untersuchte den Revolver. »Unter dem ganzen Dreck ist er eigentlich noch in einem ganz passablen Zustand. Könnte durchaus sein, dass er wieder funktioniert.« Er griff über den Tisch nach der Patronenschachtel, legte ein paar Patronen ein und klappte die Trommel zu. »Irgendwer Lust auf eine kleine Partie russisches Roulette?«
»Hör auf«, sagte Justin und schüttelte sich. »Das ist makaber.«
»Gib her«, sagte Daniel, die Hand nach dem Revolver ausgestreckt. »Spiel nicht mit dem Ding rum.«
»Das war ein Witz, Menschenskind«, sagte Rafe und reichte ihn rüber. »Ich teste nur, ob alles funktioniert. Morgen früh geh ich damit auf die Terrasse und schieß uns ein Kaninchen zum Abendessen.«
»Nein«, sagte ich, fuhr hoch und sah ihn empört an. »Ich mag die Kaninchen. Lass sie in Frieden.«
»Wieso? Die machen doch nichts anderes als immer nur noch mehr Kaninchen und die Wiese vollkötteln. Die kleinen Biester wären als Frikassee oder Braten sehr viel nützlicher.«
»Du bist abartig. Hast du denn nie Unten am Fluss gelesen?«
»Du kannst dir nicht die Finger in die Ohren stecken, weil du sonst deine Maniküre ruinierst. Ich könnte dir ein Häschen au vin kochen, das –«
»Du kommst garantiert in die Hölle, weißt du das?«
»Ach, reg dich ab, Lex, das macht er sowieso nicht«, sagte Abby und pustete auf ihren Daumennagel. »Die Kaninchen kommen in aller Herrgottsfrühe raus. Und um die Zeit weilt Rafe noch längst nicht unter den Lebenden.«
»Ich kann nichts Abstoßendes daran finden, Tiere zu erlegen«, sagte Daniel und klappte den Revolver behutsam auf, »vorausgesetzt, du verzehrst, was du tötest. Letzten Endes sind wir Raubtiere. In einer idealen Welt fände ich es großartig, wenn wir völlig selbstgenügsam wären – von dem leben könnten, was wir anbauen und jagen, von niemandem abhängig. In der Realität wird das natürlich kaum zu erreichen sein, und ich würde auf jeden Fall nur ungern mit den Kaninchen anfangen. Die sind mir ans Herz gewachsen. Gehören irgendwie zum Haus.«
»Siehst du?«, sagte ich zu Rafe.
»Was soll ich sehen? Sei nicht so kindisch. Wie oft hab ich nicht schon erlebt, dass du dich mit Steaks vollstopfst oder –«
Ich war auf den Beinen und in Schießhaltung, eine Hand dort, wo meine Waffe hätte sein sollen, ehe ich überhaupt begriff, dass wir ein lautes Krachen gehört hatten. Neben Abby und mir auf dem Kaminvorleger lag ein scharfkantiger Stein, als wäre er schon die ganze Zeit da gewesen, umgeben von hellen Glassplittern wie Eiskristalle. Abbys Mund war zu einem erschrockenen kleinen O geöffnet, und ein langer kalter Luftzug fegte durch das geborstene Fenster herein, blähte die Vorhänge auf.
Dann fuhr Rafe aus seinem Sessel hoch und hechtete Richtung Küche. Ich war einen halben Schritt hinter ihm, mit Justins panischem Schrei – »Lexie, deine Wunde!« – in den Ohren. Irgendwo rief Daniel etwas, aber ich stürmte gleich hinter Rafe nach draußen, und als er mit wehenden Haaren von der Terrasse sprang, hörte ich das Tor hinten im Garten scheppern.
Es schwang noch immer wie verrückt hin und her, als wir hindurchrannten. Auf dem Feldweg blieb Rafe abrupt stehen, den Kopf gereckt, und hielt mich mit einer Hand am Handgelenk fest: »Pssst.«
Wir lauschten, atmeten nicht. Ich spürte etwas hinter mir aufragen und wirbelte herum, aber es war Daniel, flink und lautlos wie eine große Katze auf dem Gras.
Wind in den Blättern. Dann rechts von uns, Richtung Glenskehy und nicht weit weg, das leise Knacken eines Zweiges.
Das letzte Licht vom Haus her verschwand hinter uns, und wir flogen in der Dunkelheit den Weg hinunter, Blätter peitschten unter meinen Fingerspitzen, als ich eine Hand zur Hecke streckte, um mich zu
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