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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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orientieren, eine plötzliche Explosion rennender Füße vor uns und ein heiserer Triumphschrei von Rafe neben mir. Sie waren schnell, Rafe und Daniel, schneller, als ich für möglich gehalten hätte. Unser Atem klang mir wild in den Ohren, wie bei einem jagenden Rudel, das harte Schlagen unserer Füße und mein Puls wie Kriegstrommeln, die mich weitertrieben. Der Mond verschwand immer wieder hinter dahinjagenden Wolken, und ich sah ganz kurz etwas Schwarzes, nur zwanzig oder dreißig Meter vor uns, gebückt und grotesk in dem seltsamen weißen Licht und im schnellen Lauf. Für eine Sekunde sah ich Frank über seinen Schreibtisch gebeugt, die Hände auf die Kopfhörer gepresst, und ich dachte so fest wie ein Faustschlag in seine Richtung: Wag es nicht, wag es bloß nicht, deine Gorillas loszuschicken, der hier gehört uns .
    Wir schwangen um einen Knick im Weg, fassten nach der Hecke, um das Gleichgewicht zu halten, und bremsten scharf an einer Kreuzung ab. Im Mondlicht verliefen die Wege in alle Richtungen, leer und unbestimmt, verrieten nichts. Steinhaufen duckten sich in den Feldern wie verzauberte Wächter.
    »Wo ist er hin?« Rafes Stimme war ein gebrochenes Flüstern. Er fuhr herum, witterte wie ein Jagdhund. »Wo ist das Schwein hin?«
    »So schnell kann er nicht verschwunden sein«, murmelte Daniel. »Er ist irgendwo in der Nähe. Versteckt sich.«
    »Scheiße!«, zischte Rafe. » Scheiße, so ein kleiner Wichser – so ein verdammter – Gott, ich bring ihn um –«
    Der Mond glitt wieder davon. Die Jungs rechts und links von mir waren kaum noch Schatten und verblassten immer mehr. »Taschenlampe?«, flüsterte ich, reckte mich dabei, um den Mund dicht an Daniels Ohr zu bringen, und sah sein rasches Kopfschütteln vor dem Himmel.
    Wer auch immer der Mann war, er kannte die Gegend wie seine Westentasche. Er könnte sich die ganze Nacht hier verkriechen, wenn er wollte, von einem Versteck zum nächsten huschen, wie Generationen seiner rebellischen Ahnen es vor ihm getan hatten, bloß schmale Augenschlitze, die aus dem Laub spähen und dann verschwunden sind.
    Aber er ließ nach. Uns diesen Stein durchs Fenster zu werfen, wo er doch wissen musste, dass wir ihn verfolgen würden: Seine Selbstbeherrschung geriet ins Wanken, zerbröselte unter Sams Fragen und dem unaufhörlichen harten Druck seines eigenen Zorns. Er konnte sich endlos lange verstecken, wenn er wollte, aber genau da lag der Haken: Er wollte nicht.
    Alle Detectives, überall auf der Welt, wissen, dass das unsere beste Waffe ist: die Begehrlichkeiten des Herzens. Heute, wo Daumenschrauben und glühende Zangen passé sind, haben wir keine Möglichkeit, jemanden zu zwingen, einen Mord zu gestehen, uns zu der Leiche zu führen, einen Freund zu verraten oder einen Verbrecherkönig zu verpfeifen, und dennoch tun Menschen das nach wie vor. Sie tun es, weil es irgendetwas gibt, was ihnen noch wichtiger ist als Sicherheit: ein reines Gewissen, die Chance zur Selbstdarstellung, das Ende der inneren Anspannung, ein Neuanfang, was auch immer, wir finden es. Wenn wir durchschauen, was du haben willst – insgeheim, so tief in dir verborgen, dass du selbst es vielleicht nie wahrgenommen hast –, und es dir vor die Nase halten, gibst du uns im Gegenzug alles, was wir wollen.
    Dieser Typ hatte die Nase gestrichen voll davon, sich auf seinem eigenen Territorium zu verstecken, mit Sprühfarbe und Steinen herumzuschleichen wie ein rotznäsiger Teenager, der Aufmerksamkeit braucht. Im tiefsten Innern seines Herzens wollte er eine Chance haben, mal richtig zuzuschlagen.
    »Nicht zu fassen, der versteckt sich«, sagte ich mit meinem besten hochnäsigen Yuppie-Tonfall heiter und klar und amüsiert in die weite wartende Nacht hinein. Rafe und Daniel packten mich gleichzeitig, aber ich fasste ihre Arme und kniff zu, fest. »Gott, wie erbärmlich. Aus sicherer Entfernung macht er einen auf großen starken Mann, aber sobald wir ihm auf die Pelle rücken, hockt er sich schlotternd unter irgendeine Hecke, wie ein verängstigtes Karnickel.«
    Daniels Hand um meinen Arm lockerte sich, und ich hörte ihn ausatmen, ein geisterhaftes Lachen – er war kaum außer Atem. »Ist auch besser so«, sagte er. »Der hat zwar nicht den Mumm zu kämpfen, aber immerhin genug Grips, um zu wissen, wann was eine Nummer zu groß für ihn ist.«
    Ich griff blind nach Rafe und drückte erneut zu – wenn sich der Typ von irgendetwas aus der Deckung locken ließ, dann von dessen lässiger

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