Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
vorne, hob die Fäuste und verzog den Mund zu einem wütenden Knurren. Er war ganz kurz davor, sich auf Sam zu stürzen. »Ihr kotzt mich an. Die oben im Haus brauchen nur zu pfeifen, und schon kommt ihr angerannt wie brave Hündchen. Die jammern euch irgendwas über den bösen Bauern vor, der nicht weiß, wo er hingehört, und schon schleppt ihr mich hierher und beschuldigt mich, eine von denen angegriffen zu haben. Das ist Scheiße. Ich will, dass sie aus Glenskehy verschwinden – und das werden sie auch, garantiert –, aber ich hab nicht im Traum dran gedacht, einem von denen was zu tun. Niemals. Das gönn ich denen nicht. Wenn die ihre Sachen packen und abhauen, will ich dabei sein und ihnen hinterherwinken.«
    Es hätte eine Enttäuschung sein müssen, aber es jagte wie Speed durch mein Blut, pochte oben im Hals, verschlug mir den Atem. Es war ein Gefühl – und ich lehnte mich gegen die Scheibe, hielt mein Gesicht so, dass Frank es nicht sehen konnte –, ein Gefühl, als wäre mir eine Gnadenfrist geschenkt worden.
    Naylor war noch nicht fertig. »Diese verdammten Schweine benutzen euch, um mich in meine Schranken zu verweisen, so wie sie seit dreihundert Jahren die Obrigkeit und überhaupt jeden benutzen. Ich verrate Ihnen mal was, Detective, und das würde ich auch den Leuten sagen, die Ihnen diesen Quatsch mit dem Lynchmob erzählt haben. Sie können in Glenskehy rumschnüffeln, so viel Sie wollen, aber finden werden Sie nichts. Diese junge Frau ist von niemandem aus dem Dorf angegriffen worden. Ich weiß, es ist schwierig, gegen Reiche vorzugehen und nicht immer nur gegen die Armen, aber falls Sie einen Verbrecher schnappen wollen und nicht bloß einen Sündenbock, dann suchen Sie in Whitethorn House nach ihm. Bei mir zu Hause züchten wir nämlich keine.«
    Er verschränkte die Arme, kippelte seinen Stuhl wieder auf die Hinterbeine und begann »The Wind That Shakes the Barley« zu singen. Frank trat von der Scheibe weg und lachte leise in sich hinein.

    Sam versuchte es noch über eine Stunde. Er zählte jeden einzelnen Vorfall von Sachbeschädigung der letzten viereinhalb Jahre auf, sämtliche Beweise, die Naylor mit dem Steinwurf und dem Kampf in Verbindung brachten. Manche waren echt – seine Prellungen, meine Beschreibung – und manche erfunden, Fingerabdrücke, Handschriftenanalyse. Er kam in den Beobachtungsraum, schnappte sich die Beweismittelbeutel, ohne Frank oder mich anzusehen, und warf sie vor Naylor auf den Tisch. Er drohte, ihn wegen Einbruchs festzunehmen, wegen Körperverletzung, alles außer Mord. Naylor revanchierte sich mit »The Croppy Boy«, »Four Green Fields« und, um mal den Rhythmus zu wechseln, »She Moved Through the Fair«.
    Schließlich musste Sam kapitulieren. Nachdem er Naylor im Vernehmungszimmer allein gelassen hatte, verging eine ganze Weile, ehe er wieder zu uns in den Beobachtungsraum kam, die Beweismittelbeutel von einer Hand baumelnd und die Erschöpfung wieder ins Gesicht geschrieben, tiefer als je zuvor.
    »Ich fand, das ist prima gelaufen«, sagte Frank munter. »Sie hätten sogar ein Geständnis für die Sachbeschädigung kriegen können, wenn Sie nicht auf den Hauptgewinn geschielt hätten.«
    Sam ignorierte ihn. »Was meinst du?«, fragte er mich.
    Soweit ich das sagen konnte, gab es noch eine klitzekleine Möglichkeit, einen einzigen Anlass, der Naylor so aus der Bahn geworfen hätte, dass er mit dem Messer auf Lexie losgegangen wäre: falls er der Vater des Babys gewesen war und sie ihm gesagt hatte, dass sie abtreiben wollte. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Ich glaube nicht, dass er unser Mann ist«, sagte Sam. Er warf die Beweismittelbeutel auf den Tisch und lehnte sich schwer dagegen, legte den Kopf in den Nacken.
    Frank tat erstaunt. »Sie wollen schon aufgeben, weil er einen Vormittag durchgehalten hat? In meinen Augen ist er ein ganz vielversprechender Kandidat: Motiv, Gelegenheit, Veranlagung … Bloß weil er Ihnen eine tolle Geschichte erzählt hat, wollen Sie ihn lediglich wegen Sachbeschädigung festnehmen und unsere Chance vertun, ihn wegen Mordes dranzukriegen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Sam. Er presste sich die Handballen auf die Augen. »Ich weiß nicht, was ich jetzt noch machen soll.«
    »Jetzt«, sagte Frank, »versuchen wir’s auf meine Art. Seien wir ehrlich: Ihre Methode hat nichts gebracht. Wir setzen Naylor auf freien Fuß, lassen Cassie versuchen, irgendwas über den Antiquitätenhandel aus

Weitere Kostenlose Bücher