Totengleich
eine knarrende Bodendiele zu treten.
»Ich weiß nicht, wieso«, sagte Daniel. Sie saßen in der Korbschaukel, rauchten, berührten sich nicht. »Ich kann’s nicht benennen. Möglich, dass mein Urteilsvermögen unter der ganzen Anspannung leidet … Ich bin einfach nur besorgt.«
»Sie hat eine schwere Zeit hinter sich«, sagte Abby behutsam. »Ich glaube, sie will nur zur Ruhe kommen und vergessen, dass es je passiert ist.«
Daniel betrachtete sie. Das Mondlicht spiegelte sich in seiner Brille, verbarg seine Augen. »Was erzählst du mir nicht?«, fragte er.
Das Baby. Ich biss mir auf die Lippe und betete inständig, dass Abby an Frauensolidarität glaubte. Sie schüttelte den Kopf. »In dem Fall musst du mir einfach vertrauen.«
Daniel wandte den Blick ab, schaute über die Wiese, und ich sah ganz kurz etwas über sein Gesicht huschen – Mattigkeit oder Trauer. »Früher haben wir uns alles erzählt«, sagte er. »Ist noch gar nicht so lange her, nicht? Oder hab ich das nur so in Erinnerung? Wir fünf gegen den Rest der Welt, und keine Geheimnisse, niemals.«
Abbys Augenbrauen schnellten hoch. »War das so? Ich glaube nicht, dass irgendwer irgendwem alles erzählt. Ich zum Beispiel tu das nicht.«
»Ich bilde mir ein«, sagte Daniel, »dass ich es versuche. Dass ich dir und den anderen alles erzähle, was wichtig ist, es sei denn, es gibt irgendeinen dringenden Grund, das nicht zu tun.«
»Aber es gibt immer einen dringenden Grund, nicht wahr? Bei dir.« Abbys Gesicht war bleich und verschlossen.
»Möglicherweise ja«, sagte Daniel leise seufzend. »Früher war das nicht so.«
»Du und Lexie«, sagte Abby. »Habt ihr je … «
Schweigen. Die beiden betrachteten einander, wachsam wie Feinde.
»Weil das wichtig wäre.«
»Ach ja? Warum?«
Wieder Schweigen. Der Mond verschwand, und ihre Gesichter verloren sich in der Nacht.
»Nein«, sagte Daniel schließlich. »Haben wir nicht. Wahrscheinlich würde ich das so oder so sagen, weil ich eigentlich nicht finde, dass es von Bedeutung ist, also erwarte ich nicht, dass du mir glaubst. Aber, wenn es dir wichtig ist, nein, haben wir nicht.«
Erneutes Schweigen. Der kleine rote Glutpunkt einer Zigarette, der einen Bogen durch die Dunkelheit beschrieb wie ein Meteor. Ich stand in der kalten Küche, beobachtete sie durch die Scheibe und wünschte, ich könnte ihnen sagen: Jetzt wird alles gut. Alle beruhigen sich; alles wird wieder so, wie es mal war, wir brauchen Zeit, und jetzt haben wir Zeit. Ich bleibe bei euch .
Türenschlagen mitten in der Nacht. Schnelle, achtlos polternde Schritte auf Holz. Noch ein Knall, schwerer diesmal, die Haustür.
Ich lauschte, setzte mich mit klopfendem Herzen im Bett auf. Im Haus verlagerte sich etwas, so unmerklich, dass ich es eher spürte als hörte, eine Vibration durch die Wände und Dielenböden bis in meine Knochen: Jemand bewegte sich. Es hätte von irgendwoher kommen können. Die Nacht war still, kein Wind in den Bäumen, nur der kühle, trügerische Schrei einer Eule, die weit draußen auf den Wiesen jagte. Ich schob mein Kissen hoch gegen das Kopfende, machte es mir bequem und wartete. Ich hätte gern geraucht, aber ich hatte das sichere Gefühl, nicht die Einzige zu sein, die aufrecht dasaß, alle Antennen ausgefahren, um die kleinste Kleinigkeit wahrzunehmen. Das Klicken eines Feuerzeugs, den Geruch von Rauch, der durch die dunkle Luft waberte.
Nach ungefähr zwanzig Minuten ging die Haustür auf und schloss sich wieder, sehr leise diesmal. Eine Pause. Dann schleichende, vorsichtige Schritte die Treppe hinauf in Justins Zimmer, das überlaute Quietschen von Bettfedern unter mir.
Ich wartete noch fünf Minuten ab. Als nichts Interessantes geschah, schlüpfte ich aus dem Bett und lief nach unten – der Versuch, leise zu sein, wäre sinnlos gewesen. »Oh«, sagte Justin, als ich um seine Tür herumlugte. »Du bist das.«
Er saß auf der Bettkante, halb angezogen. Hose, Schuhe, aber keine Socken, sein Hemd herausgezogen und zur Hälfte aufgeknöpft. Er sah schrecklich aus.
»Geht’s dir nicht gut?«, fragte ich.
Justin fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, und ich sah, dass sie zitterten. »Ja«, sagte er. »Könnte man so sagen.«
»Was hast du denn?«
Seine Hände sanken herab, und er starrte mich an, die Augen rot gerändert. »Geh schlafen«, sagte er. »Geh einfach schlafen, Lexie.«
»Bist du sauer auf mich?«
»Nicht alles in dieser Welt hat was mit dir zu tun, weißt du«, sagte Justin kalt.
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