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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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»Ob du’s glaubst oder nicht.«
    »Justin«, sagte ich nach kurzem Zögern. »Ich wollte doch bloß –«
    »Wenn du wirklich was für mich tun willst«, sagte Justin, »dann lass mich in Ruhe.«
    Er stand auf, wandte mir den Rücken zu und machte sich am Bettlaken zu schaffen, zog es mit ruckartigen Bewegungen glatt. Als klar war, dass er nichts mehr sagen würde, schloss ich leise die Tür und ging wieder nach oben. Aus Daniels Zimmer fiel kein Licht, aber ich konnte ihn spüren, kaum einen Meter entfernt in der Dunkelheit, wie er lauschte und nachdachte.

    Als ich am nächsten Tag aus meinem Fünf-Uhr-Tutorenkurs kam, warteten Abby und Justin auf dem Flur. »Hast du Rafe gesehen?«, fragte Abby.
    »Seit dem Mittagessen nicht mehr«, sagte ich. Sie sahen aus, als kämen sie von draußen – Abby in ihrem langen grauen Mantel, Justin im zugeknöpften Tweedjackett –, und auf Schultern und Haaren glitzerten Regentropfen. »Er hatte doch heute sein Oberseminar?«
    »Das hat er uns erzählt«, sagte Abby und trat zurück an die Wand, um einen Trupp lärmender Erstsemester vorbeizulassen, »aber Oberseminare dauern keine vier Stunden, und überhaupt, wir haben schon bei Armstrong nachgesehen. Seine Tür ist abgeschlossen. Er ist gar nicht da.«
    »Vielleicht ist er auf ein Bier in die Cafeteria«, schlug ich vor. Justin verzog das Gesicht. Wir wussten alle, dass Rafe in letzter Zeit mehr trank, als ihm guttat, aber keiner sagte etwas dazu, niemals.
    »Da haben wir auch schon nachgesehen«, sagte Abby. »Und in den Pavillon würde er nicht gehen. Er sagt, da wimmelt es von schwachsinnigen Rugbyspielern, und er kommt sich vor wie in seiner Internatszeit. Ich weiß nicht, wo wir sonst noch suchen sollen.«
    »Was ist los?«, fragte Daniel, der gerade aus seinem Tutorenkurs gegenüber kam.
    »Wir können Rafe nicht finden.«
    »Hmm«, sagte Daniel und schloss den Arm fester um seinen dicken Packen Bücher und Unterlagen. »Habt ihr versucht, ihn anzurufen?«
    »Dreimal«, sagte Abby. »Beim ersten Mal hat er den Anruf weggedrückt und dann das Handy ausgemacht.«
    »Sind seine Sachen noch in der Bibliothek?«
    »Nein«, sagte Justin, ließ sich gegen die Wand sinken und begann an der Nagelhaut eines Fingers zu zupfen. »Alles weg.«
    »Aber das ist doch ein gutes Zeichen«, sagte Daniel und sah ihn leicht verwundert an. »Das heißt, es ist ihm nichts Unerwartetes passiert. Er ist nicht überfahren worden oder musste wegen irgendeines anderen Notfalls ins Krankenhaus gebracht werden. Er ist bloß mal allein losgezogen.«
    »Ja, aber wohin? « Justins Stimme wurde lauter. »Und was sollen wir jetzt machen? Wie will er ohne uns nach Hause kommen? Und sollen wir ihn einfach hierlassen?«
    Daniel blickte den Gang hinunter, über das Gedränge von Köpfen hinweg. Die Luft roch nach nassem Teppich. Irgendwo um die Ecke herum kreischte ein Mädchen, schrill und durchdringend, und Justin und Abby und ich fuhren zusammen, ehe wir begriffen, dass sie nur entsetzt getan hatte und ihr Schrei bereits in lautes, flirtiges Schimpfen überging. Daniel biss sich nachdenklich auf die Lippe, schien nichts davon mitzubekommen.
    Nach einem Moment seufzte er und sagte mit einem raschen, ärgerlichen Kopfschütteln: »Rafe, also wirklich. Natürlich lassen wir ihn hier. Bleibt uns doch gar nichts anderes übrig. Wenn er nach Hause kommen will, kann er ja anrufen oder ein Taxi nehmen.«
    »Nach Glenskehy? Und ich fahr nicht noch mal die ganze Strecke zurück in die Stadt, bloß weil er sich unmöglich benimmt –«
    »Tja«, sagte Daniel, »er wird schon eine Lösung finden.« Er schob ein verirrtes Blatt Papier zurück in den Stapel unter seinem Arm. »Fahren wir nach Haus.«

    Das Abendessen fiel bescheiden aus – Tiefkühlhähnchen, Reis, ein Schale mit Obst, mitten auf den Tisch geknallt –, und als wir fertig waren, hatte Rafe noch immer nicht angerufen. Er hatte sein Handy wieder eingeschaltet, ließ unsere Anrufe aber auf seine Mailbox gehen. »Das sieht ihm gar nicht ähnlich«, sagte Justin. Er kratzte unaufhörlich mit dem Daumen über das Randmuster seines Tellers.
    »Doch, doch«, sagte Abby mit Nachdruck. »Er hat was getrunken und irgendeine Frau abgeschleppt, genau wie damals, weißt du noch? Da ist er zwei Tage weggeblieben.«
    »Das war was anderes. Und wieso nickst du eigentlich?«, knurrte Justin mit Blick auf mich. »Du erinnerst dich nicht. Da warst du noch gar nicht bei uns.«
    Mein Adrenalinpegel schnellte hoch, aber

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