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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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keiner sah misstrauisch aus. Sie waren alle zu sehr mit den Gedanken bei Rafe, um so einen kleinen Ausrutscher zu bemerken. »Ich nicke, weil ich davon gehört habe. Es gibt da was, das nennt sich Kommunikation, solltest du mal ausprobieren –« Alle waren gereizter Stimmung, mich eingeschlossen. Ich war nicht unbedingt halb verrückt vor Sorge um Rafe, aber die Tatsache, dass er nicht hier war, machte mich nervös, ebenso wie der Umstand, dass ich nicht wusste, ob das aus seriösen ermittlungstechnischen Gründen der Fall war – Franks geschätzte Intuition – oder weil das Gleichgewicht im Raum ohne ihn gestört war, irgendwie aus dem Lot geraten und labil.
    »Wieso war das was anderes?«, wollte Abby wissen.
    Justin zuckte die Achseln. »Da haben wir noch nicht zusammengewohnt.«
    »Na und? Ein Grund mehr. Was soll er denn machen, wenn er jemanden aufgabeln will? Seine Eroberung mitbringen?«
    »Er sollte uns anrufen. Oder wenigstens einen Zettel hinlegen.«
    »Um uns was mitzuteilen?«, fragte ich. Ich war dabei, einen Pfirsich in winzige Stücke zu hacken. »›He, Leute, ich bin weg, Frauen aufreißen. Wir sprechen uns morgen oder am späten Abend, falls ich doch keine abschleppen kann, oder um drei Uhr morgens, falls sie’ne Niete im Bett ist –‹«
    »Sei nicht so vulgär«, zischte Justin. »Und iss endlich diesen Scheißpfirsich oder hör auf, so eine Sauerei zu veranstalten.«
    »Ich bin nicht vulgär, ich meine ja bloß. Und ich ess ihn, wenn ich damit fertig bin. Ich schreib dir ja auch nicht vor, wie du zu essen hast.«
    »Wir sollten die Polizei anrufen«, sagte Justin.
    »Nein«, sagte Daniel und klopfte den Tabak einer Zigarette auf dem Handgelenk fest. »Das bringt im Moment sowieso nichts. Die Polizei wartet bei Vermisstenmeldungen immer eine gewisse Zeit – vierundzwanzig Stunden, glaub ich, vielleicht auch länger –, ehe sie irgendwas unternehmen. Rafe ist erwachsen –«
    »Theoretisch«, warf Abby ein.
    »– und er hat ja wohl das Recht, über Nacht wegzubleiben.«
    »Aber was, wenn er irgendwas Dummes gemacht hat?« Justins Stimme klang schon fast weinerlich.
    »Ich hab was gegen Euphemismen«, sagte Daniel, schüttelte sein Streichholz aus und warf es gekonnt in den Aschenbecher, »und zwar deshalb, weil sie jede echte Kommunikation unmöglich machen. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass Rafe tatsächlich irgendwas Dummes gemacht hat, aber das umfasst eine breite Palette von Möglichkeiten. Ich vermute, du hast Angst, er begeht gerade Selbstmord, was ich, offen gestanden, für extrem unwahrscheinlich halte.«
    Nach einem Moment sagte Justin, ohne aufzublicken: »Hat er euch mal erzählt, was er gemacht hat, als er sechzehn war? Als seine Eltern ihn zum zehnten Mal oder so gezwungen hatten, die Schule zu wechseln?«
    »Keine Vergangenheit«, sagte Daniel.
    »Er hat nicht versucht, sich umzubringen«, sagte Abby. »Er wollte, dass sein Arschloch von Vater ihn mal zur Kenntnis nahm, und es hat nicht geklappt.«
    »Ich habe gesagt, keine Vergangenheit.«
    »Ist ja gut. Ich sage nur, das hier ist nicht dasselbe, Justin. War Rafe in den letzten Monaten nicht völlig verändert? War er nicht wesentlich glücklicher?«
    »Die letzten Monate, ja«, sagte Justin. »Nicht in den letzten Wochen.«
    »Ja, okay«, sagte Abby und schnitt einen Apfel mit einem knackigen Ruck in zwei Hälften, »da waren wir alle nicht in Bestform. Trotzdem ist das nicht dasselbe. Rafe weiß, dass er ein Zuhause hat, er weiß, dass es Leute gibt, denen er wichtig ist, er hat nicht vor, sich was anzutun. Er ist einfach nicht gut drauf, und er will sich volllaufen lassen und Frauen aufreißen. Wenn er sich abreagiert hat, taucht er wieder auf.«
    »Was, wenn er … « Justin stockte. »Ich hasse das, wisst ihr«, sagte er leise zu seinem Teller. »Ich hasse das.«
    »Das geht uns allen so«, sagte Daniel forsch. »Es war keine leichte Zeit, für keinen von uns. Wir müssen das akzeptieren und Geduld mit uns selbst und miteinander haben, während wir uns erholen.«
    »Du hast gesagt, dass es mit der Zeit besser werden würde. Aber es wird nicht besser, Daniel. Es wird schlimmer.«
    »Ich hab dabei an einen etwas längeren Zeitraum als drei Wochen gedacht«, sagte Daniel. »Wenn du das für unvernünftig hältst, dann bitte, erklär’s mir.«
    »Wie kannst du nur so ruhig sein?« Justin war den Tränen nahe. »Es geht hier um Rafe.«
    »Wo auch immer er gerade steckt«, sagte Daniel und wandte den Kopf, um den

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