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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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ihr zu reden«, sagte auch Daniel jetzt ungeniert laut. Die gesamte Gorillatruppe machte gleichzeitig »Schsch!«.
    Ich zupfte Rafe am Ärmel. »Setz dich und sprich mit mir.«
    »Lexie«, sagte Rafe und schaffte es, mich anzusehen. Seine Augen waren blutunterlaufen, und seine Haare hatten dringend eine Wäsche nötig. »Ich hätte dich nicht allein lassen sollen, was?«
    »Mir geht’s gut«, sagte ich. »Bin rundum zufrieden. Setz dich doch und erzähl, wie deine Nacht gelaufen ist.«
    Er streckte eine Hand aus. Seine Finger glitten über meine Wange zum Hals, strichen über den Ausschnitt meines Oberteils. Ich sah, wie sich hinter ihm Abbys Augen weiteten, hörte ein hastiges Rascheln von Justins Arbeitsplatz. »Gott, du bist so süß«, sagte Rafe. »Du bist gar nicht so zerbrechlich, wie du aussiehst, oder? Manchmal denke ich, bei uns anderen ist es umgekehrt.«
    Einer von der Gorillatruppe hatte Attila alarmiert, den aggressivsten Wachmann im bekannten Universum. Er hat seine Berufswahl offensichtlich in der Hoffnung getroffen, gefährlichen Gangstern den Schädel einschlagen zu können, aber da selbige in Universitätsbibliotheken relativ rar gesät sind, begnügt er sich damit, verirrte Erstsemester zum Weinen zu bringen. »Belästigt Sie der Kerl?«, fragte er mich. Er versuchte, sich bedrohlich vor Rafe aufzubauen, was ihm aber aufgrund des Größenunterschiedes schwerfiel.
    Sofort war die Wand da. Daniel und Abby und Justin nahmen schlagartig eine lässig entspannte Haltung ein, sogar Rafe stellte sich aufrechter hin, riss seine Hand weg und schaffte es von jetzt auf gleich, mühelos nüchtern zu wirken. »Alles bestens«, sagte Abby.
    »Sie hab ich nicht gefragt«, entgegnete Attila. »Kennen Sie den Kerl?«
    Er sprach mit mir. Ich setzte ein engelhaftes Lächeln auf und sagte: »Und wie, Officer, das ist mein Mann. Ich hatte eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt, aber ich hab’s mir anders überlegt, und wir wollten gerade für einen Quickie auf die Damentoilette.« Rafe kicherte.
    »Männer dürfen nicht aufs Damenklo«, sagte Attila drohend. »Und was Sie hier machen, ist Ruhestörung.«
    »Schon gut«, sagte Daniel. Er stand auf und umfasste Rafes Oberarm – der Griff wirkte beiläufig, aber ich sah, dass die Finger fest zupackten. »Wir gehen schon. Wir alle.«
    »Loslassen«, fauchte Rafe und versuchte, Daniels Hand abzuschütteln. Daniel bugsierte ihn eilig an Attila vorbei und zwischen den langen Regalreihen hindurch, ohne sich umzusehen, ob wir anderen auch wirklich folgten.

    Wir sammelten unsere Sachen ein, hasteten begleitet von Attilas finsteren Drohungen davon und fanden Daniel und Rafe im Foyer. Daniel ließ die Autoschlüssel an einem Finger baumeln, Rafe lehnte schief an einer Säule und schmollte.
    »Gut gemacht«, sagte Abby zu Rafe. »Ehrlich. Das war super.«
    »Lass mich in Ruhe.«
    »Aber was machen wir denn jetzt?«, wollte Justin von Daniel wissen. Er schleppte Daniels Sachen und seine eigenen, und er sah besorgt und überlastet aus. »Wir können doch nicht einfach gehen.«
    »Warum nicht?«
    Ein kurzes verblüfftes Schweigen trat ein. Unser Tagesablauf war uns völlig in Fleisch und Blut übergegangen, und ich glaube, keiner von uns hatte daran gedacht, dass er ja kein Naturgesetz war, dass wir ihn auch durchbrechen konnten, wenn wir wollten. »Und was machen wir stattdessen?«, fragte ich.
    Daniel warf seine Autoschlüssel in die Luft und fing sie wieder auf. »Wir fahren nach Hause und streichen das Wohnzimmer«, sagte er. »Wir haben schon viel zu viel Zeit in dieser Bibliothek verbracht. Ein bisschen Werkeln am Haus wird uns allen guttun.«
    Für jeden Außenstehenden hätte das ziemlich merkwürdig geklungen – ich konnte Frank förmlich hören: Donnerlittchen, die vier leben ja echt wild und gefährlich. Kannst du da auf der Überholspur überhaupt noch mithalten? Aber alle nickten, nach einem Moment sogar Rafe. Ich hatte bereits erkannt, dass das Haus ihr sicherer Hafen war: Immer wenn sich Anspannung bemerkbar machte, lenkte einer von ihnen das Gespräch auf irgendetwas, das repariert oder umgeräumt werden musste, und prompt beruhigten sich alle wieder. Wir würden ernsthaft Probleme kriegen, wenn das Haus irgendwann ganz fertig war und wir Spachtelmasse und Holzbeize nicht mehr als Friedensstifter einsetzen konnten.
    Und es klappte. Alte Laken über Möbel gebreitet und kalte, helle Luft, die durch offene Fenster strömte, verdreckte Klamotten und harte

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