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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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hatte einen langen selbstvergessenen Monolog über den soziokulturellen Kontext vom Stapel gelassen, bis Rafe und Lexie meinten, alles sei überbewertet außer Elvis und Schokolade, und anfingen, ihn mit Erdbeeren zu bewerfen. Sie hatten die Handykamera rumgereicht: Die Aufnahmen waren unzusammenhängend und verwackelt. Lexie mit dem Kopf in Justins Schoß, während er ihr ein Gänseblümchen hinters Ohr schiebt; Lexie und Abby Rücken an Rücken gelehnt, mit Blick aufs Meer, windzerzauste Haare, Schultern, die sich im gleichen Atemrhythmus heben; Lexie, die hoch in Daniels Gesicht lacht, während sie ihm einen Marienkäfer aus den Haaren fischt, den sie dann hochhält, Daniels Kopf über ihre Hand gebeugt, lächelnd. Ich hatte das Video so oft gesehen, dass es sich anfühlte wie meine eigene Erinnerung, flackernd und süß. An diesem Tag waren sie glücklich gewesen, alle fünf.
    Da war Liebe gewesen. Sie hatte so greifbar und einfach gewirkt wie Brot, real. Und wir lebten real darin, ein warmes Element, durch das wir uns entspannt bewegten und das wir mit jedem Atemzug inhalierten. Aber Lexie war bereit und gewillt gewesen, das alles in tausend Stücke zu zerschlagen. Nicht bloß gewillt, wild entschlossen – diese wütende Schrift in dem Terminkalender, während der Handyclip sie zeigte, wie sie lachend und staubbedeckt vom Dachboden heruntergestiegen kommt. Hätte sie ein paar Wochen länger gelebt, hätten die anderen eines Morgens nach dem Aufstehen festgestellt, dass sie weg war, ohne Nachricht, ohne Abschied, ohne nachzudenken. Irgendwo im Hinterkopf kam mir der Gedanke, dass Lexie Madison unter dieser strahlenden Oberfläche gefährlich gewesen war und es vielleicht immer noch war.

    Ich glitt von meinem Ast, baumelte an den Händen, ließ los und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Weg. Ich stopfte die Hände in die Taschen und ging los – Bewegung hilft mir beim Denken. Der Wind zerrte an meiner Mütze und stieß mir ins Kreuz, hob mich fast von den Beinen.
    Ich musste mit Ned reden, und zwar schnell. Lexie hatte es versäumt, mir Instruktionen zu hinterlassen, wie die beiden Kontakt zueinander aufnahmen. Jedenfalls nicht übers Handy: Sam hatte als Erstes ihre Telefonverbindungen überprüft und keine unbekannten Nummern gefunden, die sie angerufen hatte oder von denen sie angerufen worden war. Brieftauben? Zettelchen in hohlen Bäumen? Rauchsignale?
    Mir blieb nicht viel Zeit. Frank hatte keine Ahnung, dass Lexie sich je mit Ned getroffen hatte, und keine Ahnung, dass sie Vorbereitungen getroffen hatte zu verschwinden – ich hatte gewusst, dass es irgendwann einen guten Grund geben würde, warum ich ihm diesen Terminkalender verschwiegen hatte. Genau wie er selbst immer sagt: Der Instinkt arbeitet schneller als der Verstand. Aber er würde die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Er würde sich darin verbeißen wie ein Pitbull, und früher oder später würde er auf dieselbe Möglichkeit kommen. Ich wusste nicht viel über Ned, aber doch genug, um einigermaßen sicher zu sein, dass er, sollte er in einem Vernehmungszimmer landen und Frank ihn sich vorknöpfen, binnen fünf Minuten singen würde wie ein Vögelchen. Ich kam gar nicht auf die Idee, nicht für eine Sekunde, einfach abzuwarten und das geschehen zu lassen. Was auch immer zwischen Lexie und ihm vorgegangen war, ich musste es herausfinden, ehe Frank dahinterkam.
    Wenn ich mich mit Ned verabreden wollte, ohne Gefahr zu laufen, dass die anderen es merkten, wie würde ich das anstellen?
    Nicht übers Telefon. Handys zeichnen Nummern auf, und die Rechnungen weisen die einzelnen Gespräche aus, so etwas hätte sie nicht im Haus haben wollen, und Whitethorn House hatte keinen Festnetzanschluss. Es gab keine Münztelefone in der Nähe, und die in der Uni waren zu riskant: In einer vorgetäuschten Pinkelpause konnte sie es höchstens bis zu einem Apparat in der Philosophischen Fakultät schaffen, und wenn einer von den anderen zufällig im falschen Moment vorbeikam, wäre sie aufgeflogen – aber so ein Wagnis wäre sie nicht eingegangen, dazu war die Sache zu wichtig. Sie hatte ihn auch nicht einfach aufsuchen können. Laut Frank wohnte Ned in Bray und arbeitete in Killiney. Den Hin- und Rückweg hätte sie unmöglich geschafft, ohne dass die anderen sie vermisst hätten. Und Briefe oder E-Mails waren ausgeschlossen; sie hätte nie und nimmer eine Spur hinterlassen.
    »Verdammt, wie hast du’s angestellt?«, sagte ich leise in die Luft. Ich

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