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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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am Cottage, gegen halb elf. Zu Hause haute Rafe stürmisch in die Tasten – Beethoven mit schrecklich viel Pedal –, Justin versuchte, mit den Fingern in den Ohren zu lesen, und so, wie alle von Minute zu Minute gereizter wurden, drohte das Ganze, in einen bösen Streit auszuarten.
    Es war erst das dritte Mal, dass ich das Cottage betrat. Ich hatte ein wenig Angst vor einem erbosten Farmer – das Feld musste ja schließlich irgendwem gehören, obwohl er offenbar nicht viel Wert darauf legte –, aber es war eine stille, helle Nacht, meilenweit rührte sich nichts, bloß blasse leere Felder und die Berge als schwarze Silhouette vor den Sternen. Ich versteckte mich in einer dunklen Ecke, von wo aus ich das Feld und den Weg beobachten konnte, und wartete.
    In dem unwahrscheinlichen Fall, dass Ned tatsächlich aufkreuzte, durfte ich mir keinen Fehler erlauben. Ich hatte nur einen Versuch. Ich musste ihm die Führung überlassen, nicht bloß bei allem, was ich sagte, sondern auch, wie ich es sagte. Was auch immer Lexie für ihn gewesen war, ich musste genau so sein. Nach dem Bild, das ich mir von ihr machte, kam da alles Mögliche in Frage – hauchiger Vamp, tapferes drangsaliertes Aschenputtel, rätselhafte Mata Hari –, und was immer Frank auch über Neds Intelligenz gesagt hatte, falls ich den falschen Ton traf, würde selbst er das wahrscheinlich merken. Mir blieb nur, mich zurückzuhalten und darauf zu hoffen, dass er mir irgendwelche Hinweise lieferte.
    Der Weg sah weiß und geheimnisvoll aus, wand sich hangabwärts und verschwand zwischen dunklen Hecken. Wenige Minuten vor elf war irgendwo ein Vibrieren zu spüren, zu tief und zu weit weg, um es zu lokalisieren, nur ein Puckern irgendwo ganz am Rande meines Gehörs. Stille, dann das leise Knirschen von Schritten weiter unten. Ich drückte mich tiefer in die Ecke, schob eine Hand um meine Taschenlampe und die andere unter den Pullover, auf den Revolvergriff.
    Helles Haar leuchtete auf, bewegte sich zwischen den dunklen Hecken hindurch. Ned war also doch gekommen.
    Ich ließ meine Waffe los und sah zu, wie er sich ungelenk über die Mauer wuchtete, seine Hose nach Dreck absuchte, sich die Hände abbürstete und dann mit offensichtlichem Abscheu weiter über das Feld stakste. Ich wartete, bis er im Cottage war, nur wenige Schritte entfernt, ehe ich die Taschenlampe einschaltete.
    »Ey«, sage Ned gereizt und riss einen Arm hoch, um seine Augen abzuschirmen. »Mensch, was soll das, willst du, dass ich blind werde? Echt.«
    Und dieser eine Moment reichte echt aus, um mir alles zu verraten, was ich über Ned wissen musste. Ich war schon durch den Wind, weil ich eine Doppelgängerin hatte; er dagegen lief bestimmt an jeder Straßenecke im Süden von Dublin einem seiner Klone über den Weg. Er war in seiner Kategorie so ein Durchschnittstyp, dass er in der Masse seiner Spiegelbilder einfach unsichtbar wurde. Die modische Frisur, das gute Aussehen, die Rugbyspielerstatur, die überteuerten Designerklamotten: alles Standardausführung. Ein Blick genügte, und ich kannte seine ganze Lebensgeschichte. Ich hoffte inständig, dass ich ihn nie bei einer Gegenüberstellung würde identifizieren müssen.
    Lexie würde ihm geboten haben, was er sehen wollte, und ich war mir hundertprozentig sicher, dass Ned ein bestimmtes Frauenklischee bevorzugte: sexy nach Schema F, nicht von Natur aus, humorlos, nicht zu intelligent und hin und wieder ein bisschen zickig. Ein Jammer, dass ich nicht solariumgebräunt war. »Meine Güte «, sagte ich ebenso angesäuert und mit demselben hochnäsigen Zickentonfall, mit dem ich Naylor aus seiner Hecke gelockt hatte. »Krieg dich wieder ein. Ist bloß eine Taschenlampe.« Es war ein nicht gerade herzlicher Auftakt, aber das war mir nur recht. In gewissen gesellschaftlichen Kreisen gelten gute Umgangsformen als Zeichen von Schwäche.
    »Wo hast du gesteckt?«, wollte Ned wissen. »Ich hab dir jeden zweiten Tag einen Zettel hingelegt, echt. Mensch, ich hab was Besseres zu tun, als andauernd hier raus in die Pampa zu fahren.«
    Falls Lexie mit dieser wandelnden Umweltverschmutzung ins Bett gegangen war, würde ich rüber zum Leichenschauhaus fahren und sie eigenhändig noch ein zweites Mal umbringen. Ich verdrehte die Augen. »Äh, hallo ? Vielleicht bin ich niedergestochen worden? Vielleicht hab ich im Koma gelegen?«
    »Oh«, sagte Ned. »Ach ja. Stimmt.« Er sah mich mit blassblauen, leicht verärgerten Augen an, als hätte ich mir eine

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