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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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fahren.«
    »Halt den Mund«, sagte Abby und drückte unauffällig seinen Arm, »und geh weiter. Dreh dich nicht um. Mackey beobachtet uns wahrscheinlich.«
    Im Auto herrschte lange Zeit Totenstille.
    »Also«, sagte Rafe endlich, als ich schon das Gefühl bekam, mir an dem Schweigen die Zähne auszubeißen. »Worüber habt ihr diesmal gesprochen?« Er wappnete sich innerlich, ein kaum merkliches Zucken mit dem Kopf, ehe er mich ansah.
    »Lass gut sein«, sagte Abby auf dem Beifahrersitz.
    »Wieso Daniel?«, wollte Justin wissen. Er fuhr wie ein Irrer, wechselte ständig zwischen halsbrecherischem Tempo – ich betete, dass nicht irgendwelche Kollegen von der Streife auf uns aufmerksam würden – und übertriebener Vorsicht, und seine Stimme hörte sich an, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Was wollen die denn? Haben sie ihn verhaftet ?«
    »Nein«, sagte Abby mit Nachdruck. Natürlich konnte sie das unmöglich wissen, aber Justins Schultern senkten sich einen Zentimeter. »Er kommt schon klar. Keine Bange.«
    »Er kommt doch immer klar«, sagte Rafe zum Fenster.
    »Er hat damit gerechnet, dass so was passieren würde«, sagte Abby. »Er war sich nur nicht sicher, wen von uns sie ins Visier nehmen würden – er dachte, wahrscheinlich Justin oder Lexie, vielleicht euch beide –, aber er hat damit gerechnet, dass sie uns trennen würden.«
    » Mich? Wieso mich?« Justins Stimme nahm einen hysterischen Beiklang an.
    »Ach verflucht, Justin, führ dich nicht auf wie eine Memme«, fauchte Rafe.
    »Fahr langsamer«, sagte Abby, »sonst werden wir noch angehalten. Die wollen uns nur kirre machen, für den Fall, dass wir irgendwas wissen, was wir ihnen nicht erzählen.«
    »Aber wieso denken die –«
    »Hör auf damit. Genau das bezwecken sie doch: Wir sollen uns fragen, was sie wohl denken, warum sie irgendwas machen, wir sollen allmählich durchdrehen. Lass dich nicht auf ihre Spielchen ein.«
    »Wenn wir uns von diesen Idioten austricksen lassen«, sagte Rafe, »dann haben wir es verdient, wenn wir in den Knast wandern. Wir sind weiß Gott cleverer als –«
    »Aufhören!«, brüllte ich und schlug mit der Faust gegen Abbys Rückenlehne. Justin schnappte nach Luft und hätte den Wagen fast in den Graben gefahren, aber es war mir egal. »Hört endlich auf! Das hier ist kein Wettkampf! Es geht hier um mein Leben , und es ist kein beschissenes Spiel, und ich hasse euch alle!«
    Und dann jagte ich mir selbst einen Heidenschrecken ein, indem ich in Tränen ausbrach. Ich hatte seit Monaten nicht geweint, nicht wegen Rob, nicht wegen meines verlorenen Lebens im Morddezernat, nicht wegen irgendeiner der furchtbaren Auswirkungen des Knocknaree-Falls, aber in dem Augenblick weinte ich. Ich presste mir den Pulloverärmel auf den Mund und heulte mir die Augen aus, um Lexie mit jedem einzelnen ihrer wechselnden Gesichter, um das Baby, dessen Gesicht niemand je sehen würde, um Abby, die sich auf mondbeschienenem Gras im Kreis drehte, um Daniel, der ihr lächelnd zusah, um Rafes geschickte Hände auf dem Klavier und um Justin, der mir einen Kuss auf die Stirn gab, ich weinte wegen allem, was ich ihnen angetan hatte und noch antun würde, wegen unzähliger verlorener Dinge, wegen des atemberaubenden Tempos des Wagens, der uns gnadenlos schnell zu dem Punkt trug, auf den wir zusteuerten.
    Nach einer Weile griff Abby ins Handschuhfach und reichte mir eine Packung Papiertaschentücher. Sie hatte das Seitenfenster geöffnet, und das stetige Tosen der Luft klang wie hoher Wind in den Bäumen, und es war so friedlich, dass ich einfach weiterweinte.

23
    Sobald Justin den Wagen in den Stall gefahren hatte, sprang ich raus und rannte zum Haus, dass der Kies unter meinen Füßen hochspritzte. Niemand rief mir nach. Ich rammte den Schlüssel ins Schloss, stieß die Tür auf und polterte hoch in mein Zimmer.
    Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich die anderen hereinkommen hörte (das Schließen der Tür, schnell einander überlagernde leise Stimmen, die sich ins Wohnzimmer bewegten), aber in Wirklichkeit waren es nicht mal sechzig Sekunden – ich behielt meine Uhr im Auge. Ich hatte mir überlegt, ihnen gut zehn Minuten zu geben. Weniger, und sie hätten keine Zeit, um sich auszutauschen – ihre erste Gelegenheit überhaupt – und sich in eine ausgewachsene Panik hineinzusteigern; mehr, und Abby würde sich wieder fangen und auch die Jungs zurück auf Linie bringen.
    Während der zehn Minuten lauschte ich auf die Stimmen

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