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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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von ihm behandeln zu lassen, als wäre ich sechs! Wenn hier irgendwer das Recht hat, genau zu erfahren, was passiert ist, dann doch wohl ich. Wenn du versuchst, an das Scheißhandy zu gehen, dann tret ich es platt, das schwör ich dir!« Das war mein voller Ernst. Es war Sonntagnachmittag, auf den Straßen Richtung Dublin herrschte starker Verkehr, nicht umgekehrt. Wenn Daniel ordentlich Gas gab – und das würde er – und nicht von der Polizei angehalten wurde, konnte er in etwa einer halben Stunde zu Hause sein. Ich brauchte jede einzelne Sekunde.
    Rafe lachte, ein kurzer, rauer Ton. »Alle Achtung!«, sagte er und prostete mir zu.
    Abby starrte mich an, die Hand noch immer auf halbem Weg zu ihrer Tasche.
    »Wenn ihr mir nicht endlich erzählt, was Sache ist«, sagte ich, »rufe ich jetzt sofort bei den Bullen an und erzähl denen alles, woran ich mich erinnern kann.«
    »Gott«, flüsterte Justin. »Abby … «
    Das Telefon hörte auf zu klingeln.
    »Abby«, sagte ich und holte tief Luft. Ich konnte spüren, wie sich meine Fingernägel in die Handteller gruben. »Ich kann das nicht mehr, wenn ihr mich außen vor lasst. Das hier ist wichtig . Ich kann so nicht … Wir können so nicht weitermachen. Entweder wir stehen das gemeinsam durch, oder es geht eben nicht mehr.«
    Justins Handy klingelte.
    »Ihr müsst mir ja nicht mal sagen, wer von euch es war, wenn ihr nicht wollt.« Ich war mir ziemlich sicher, wenn ich nur angestrengt lauschte, würde ich hören, wie Frank mit dem Kopf gegen eine Wand schlug, irgendwo, aber das war mir egal: Immer eins nach dem anderen. »Ich will bloß wissen, was passiert ist. Ich bin es so satt, dass alle Bescheid wissen außer mir. Ich bin es so verdammt satt. Bitte.«
    »Sie hat alles Recht der Welt, es zu erfahren«, sagte Rafe. »Und ich persönlich bin es auch ziemlich leid, immer nur nach der Devise ›Weil Daniel das gesagt hat‹ zu leben. So gut sind wir bisher weiß Gott nicht damit gefahren.«
    Das Klingeln hörte auf. »Wir sollten ihn zurückrufen«, sagte Justin, halb aus seinem Sessel. »Meint ihr nicht? Was, wenn sie ihn verhaftet haben und er Geld für die Kaution braucht oder so?«
    »Sie haben ihn nicht verhaftet«, sagte Abby automatisch. Sie ließ sich zurück in den Sessel fallen und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, atmete tief aus. »Wie oft soll ich euch noch sagen, die brauchen Beweise für einen Haftbefehl. Es geht ihm gut. Lexie, setz dich.«
    Ich blieb, wo ich war. »Ach Menschenskind, nun setz dich endlich«, sagte Rafe, mit einem leidgeprüften Seufzer. »Ich erzähl dir die ganze erbärmliche Geschichte sowieso, ob es den andern gefällt oder nicht, und du machst mich nervös mit deinem Herumgehampel. Und Abby, reg dich ab. Wir hätten das schon vor Wochen machen sollen.«
    Nach einem Moment ging ich zu meinem Sessel am Kamin. »Viel besser«, sagte Rafe und grinste mich an. Auf seinem Gesicht lag eine sorglose, verwegene Heiterkeit, er sah so glücklich aus wie schon seit Wochen nicht mehr. »Trink was.«
    »Ich will nichts trinken.«
    Er schwang seine Beine vom Sofa, goss mir einen großen, triefenden Wodka-Orange ein und reichte ihn mir. »Ehrlich gesagt, ich finde, wir sollten alle noch was trinken. Wir werden es brauchen.« Er füllte schwungvoll Gläser auf – Abby und Justin schienen es nicht mitzukriegen – und hob seines hoch in die Luft. »Auf die vollständige Enthüllung.«
    »Okay«, sagte Abby, nach einem tiefen Atemzug. »Okay. Wenn du das wirklich willst und es dir ja sowieso langsam wieder einfällt, dann … meinetwegen.«
    Justin öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder und biss sich auf die Lippen.
    Abby fuhr sich mit den Händen durchs Haar, strich es sich energisch glatt. »Wo sollen wir … ? Ich meine, an wie viel kannst du dich erinnern oder … «
    »An Bruchstücke«, sagte ich. »Sie ergeben aber keinen Sinn oder so. Fangt einfach am Anfang an.« Das ganze Adrenalin war aus meinem Blut gespült worden, und mit einem Mal war ich ganz ruhig. Das hier war das Letzte, was ich in diesem Haus je tun würde. Ich spürte es überall um mich herum, in jedem Quadratzentimeter, summend vor Sonne und Staubkörnchen und Erinnerungen, es wartete darauf, was als Nächstes kam. Mir war, als hätten wir alle Zeit der Welt.
    »Du hast dich fertig gemacht für deinen Spaziergang«, sagte Rafe hilfreich und ließ sich wieder aufs Sofa fallen, »so gegen, wie spät war’s, kurz nach elf? Und Abby und ich stellten fest, dass wir

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