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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Worten nichts auszurichten war. Was mich allerdings überraschte und was alle Warnlampen in meinem Hinterkopf aufblinken ließ, das war, wie schnell und energisch Daniel reagiert hatte.
    »Also«, sagte Rafe, »hab ich den Zettel vorgelesen. Da stand: ›Liebe Lexie, hab drüber nachgedacht, und okay, wir können über zweihundert Riesen reden. Bitte melde dich, weil ich weiß, dass wir beide das Geschäft abschließen wollen. Schöne Grüße, Ned.‹«
    »Ganz genau das«, sagte Justin leise und bitter in die luftleere Stille, »daran wirst du dich ja wohl noch erinnern.«
    »Er hat eine Sauklaue«, sagte Rafe, die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt. »Wie ein Vierzehnjähriger. Was für ein Schwachkopf. Mal abgesehen von allem anderen, ich hätte dir einen besseren Geschmack zugetraut, als mit so einem miese Geschäfte zu machen.«
    »Und?«, fragte Abby. Ihre Augen waren ganz ruhig auf mich gerichtet, forschend. »Wenn das alles nicht passiert wäre, hättest du wirklich an Ned verkauft?«
    Wenn ich daran denke, wie unglaublich grausam ich zu den vieren war, zählt das zu den wenigen Dingen, die mich ein wenig mit mir selbst versöhnen: Ich hätte in dem Moment ja sagen können. Ich hätte ihnen haargenau sagen können, was Lexie vorhatte, was sie ihnen antun wollte und allem, was sie gemeinsam mit Herz und Seele und Körpereinsatz aufgebaut hatten. Vielleicht wäre das letzten Endes weniger schmerzhaft für sie gewesen als der Gedanke, dass es eigentlich um nichts gegangen war. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, als ich das letzte Mal eine Wahl hatte, viel zu spät, um noch irgendetwas zu ändern, habe ich aus den richtigen Gründen gelogen.
    »Nein«, sagte ich. »Ich wollte bloß … Ich musste einfach wissen, ob ich es gekonnt hätte. Ich bin durchgedreht, Abby. Ich fühlte mich eingesperrt, und ich hab Panik gekriegt. Ich hatte nie ernsthaft vor zu gehen. Ich musste einfach nur wissen, dass ich gehen könnte, wenn ich wollte.«
    »Eingesperrt«, sagte Justin, und sein Kopf bewegte sich mit einem kurzen, gekränkten Ruck. »Bei uns«, aber ich sah auch Abbys rasches Blinzeln, als sie begriff: das Baby.
    »Du wolltest bleiben.«
    »Und ob ich bleiben wollte«, sagte ich, und ich weiß bis heute nicht und werde es wohl nie wissen, ob auch das eine Lüge war. »So sehr, Abby. Wirklich.«
    Nach einem langen Augenblick nickte sie fast unmerklich.
    »Hab ich euch doch gesagt«, sagte Rafe, legte den Kopf in den Nacken und blies Rauch an die Decke. »Daniel, der Idiot. Noch bis letzte Woche war er praktisch hysterisch vor Paranoia deswegen. Ich hab ihm gesagt, ich hätte mit dir gesprochen und du hättest nicht vor, irgendwo hinzugehen, aber nein, Monsieur lässt sich natürlich von keinem was sagen.«
    Abby reagierte nicht darauf, rührte sich nicht, es sah aus, als würde sie nicht mal atmen. »Und jetzt?«, fragte sie mich. »Was jetzt?«
    Für eine schwindelige Sekunde verlor ich den Faden, dachte, sie hätte mich durchschaut und würde fragen, ob ich trotzdem bleiben wollte. »Was meinst du?«
    »Sie meint«, sagte Rafe kühl und knapp und sehr ruhig, »wenn unser Gespräch hier vorbei ist, rufst du dann Mackey oder O’Neill oder die Dorftrottel an und lieferst uns aus? Verpfeifst uns? Lässt uns hängen? Was auch immer der angemessene Ausdruck unter diesen Umständen ist.«
    Man sollte meinen, dass ich bei dieser Frage von Schuldgefühlen durchzuckt worden wäre, die sich von dem Mikro aus glühend heiß auf meiner Haut ausbreiteten, aber das Einzige, was ich empfand, war eine große, endgültige, ziehende Traurigkeit, wie ein Ebbstrom tief unten in meinen Knochen. »Ich werde keinem was sagen«, sagte ich und spürte, wie Frank, weit weg in seinem kleinen summenden Kreis aus Elektronik, anerkennend nickte. »Ich will nicht, dass ihr in den Knast geht. Egal, was passiert ist.«
    »Tja«, sagte Abby leise, fast zu sich selbst. Sie lehnte sich im Sessel zurück und strich ihren Rock glatt, geistesabwesend, mit beiden Händen. »Tja, dann … «
    »Tja, dann«, sagte Rafe und zog fest an seiner Zigarette, »haben wir die ganze Sache wesentlich komplizierter gemacht, als es nötig gewesen wäre. Irgendwie wundert mich das nicht.«
    »Und dann?«, sagte ich. »Nach der Sache mit dem Zettel. Was ist dann passiert?«
    Eine kleine, angespannte Veränderung im Raum. Keiner von ihnen schaute die anderen an. Ich suchte nach irgendeinem winzigen Unterschied in den Gesichtern, nach einem Hinweis darauf, dass dieses

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