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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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beide keine Zigaretten mehr hatten. Komisch, wie Kleinigkeiten doch ins Gewicht fallen können, nicht? Wenn wir Nichtraucher wären, wäre das alles vielleicht nie passiert. Davon redet keiner bei den ganzen Warnungen vor den schlimmen Folgen des Rauchens.«
    »Du hast gesagt, du würdest unterwegs welche besorgen«, sagte Abby. Sie beobachtete mich, die Hände fest im Schoß gefaltet. »Aber du bist immer mindestens eine Stunde weg, daher dachte ich, ich geh schnell zur Tankstelle. Es sah nach Regen aus, deshalb hab ich die Jacke angezogen – du wolltest sie anscheinend nicht, weil du schon deinen Mantel anhattest. Ich hab mein Portemonnaie in die Tasche gesteckt und … «
    Ihre Stimme erstarb, und sie machte eine kleine, nervöse Geste, die alles hätte bedeuten können. Ich hielt mich zurück. Keine Hilfestellung mehr, wenn ich es vermeiden konnte. Der Rest der Geschichte musste von ihnen kommen.
    »Und dann hat sie so einen Zettel rausgezogen«, sagte Rafe mit einer Zigarette im Mund, und gefragt: ›Was ist das denn?‹ Zunächst hat keiner richtig hingehört. Wir waren alle in der Küche, wir haben gespült, Justin und Daniel und ich, und über irgendwas diskutiert –«
    »Stevenson«, sagte Justin sanft und sehr traurig. »Weißt du nicht mehr? Jekyll und Hyde. Daniel hat über sie doziert, irgendwas mit Vernunft und Instinkt. Du warst in alberner Laune, Lexie, du hast gesagt, du hättest genug über die Uni geredet, für den Abend, und überhaupt, Jekyll und Hyde wären bestimmt beide Nieten im Bett, und Rafe hat gesagt: ›Dass du einspurig denkst, wissen wir ja, aber dass die Spur noch dazu eine Dreckspur ist … ‹ Wir mussten alle lachen.«
    »Und dann hat Abby gesagt: ›Lexie, verdammt, was soll das?‹«, sagte Rafe. »Wesentlich lauter. Wir haben uns alle zu ihr umgedreht, und sie hatte so ein zerknittertes Stück Papier in der Hand und sah aus, als hätte sie jemand geohrfeigt – so hatte ich sie noch nie gesehen, niemals.«
    »Daran kann ich mich erinnern«, sagte ich. Meine Hände fühlten sich an, als wären sie durch einen Hitzestrahl mit den Armlehnen verschmolzen. »Dann wird alles wieder undeutlich.«
    »Zum Glück«, sagte Rafe, »können wir dir da auf die Sprünge helfen. Ich denke, wir anderen werden uns bis an unser Lebensende an jede Sekunde erinnern. Du hast gesagt: ›Gib das her‹, und hast nach dem Stück Papier gegriffen, aber Abby ist zurückgesprungen, ganz schnell, und hat Daniel den Zettel gegeben.«
    »Ich glaube«, sagte Justin mit leiser Stimme, »da wurde uns allmählich klar, dass es um was Ernstes ging. Ich hatte schon irgendwas Albernes in Richtung Liebesbrief auf der Zunge gehabt – nur um dich zu ärgern, Lexie –, aber du warst so … Du bist regelrecht auf Daniel losgehechtet und hast versucht, ihm den Zettel wegzunehmen. Er hat blitzschnell die andere Hand vorgestreckt, um dich auf Abstand zu halten, rein reflexartig, aber du hast mit ihm gekämpft, richtig gekämpft – du hast auf seinen Arm eingeschlagen, hast versucht, ihn zu treten, und nach dem Stück Papier gegrapscht. Du hast keinen Ton von dir gegeben. Das hat mir am meisten Angst gemacht, glaub ich. Diese Stille. Mir war, als müsstet ihr rumschreien oder brüllen oder irgendwas, und dass ich dann irgendwas tun könnte, aber es war so still – nur das Keuchen von dir und Daniel und das Wasser, das noch immer in die Spüle lief … «
    »Abby hat deinen Arm zu fassen gekriegt«, sagte Rafe, »aber du bist rumgefahren, mit erhobenen Fäusten. Ich hab echt gedacht, du gehst auf sie los. Justin und ich standen da und glotzten blöd aus der Wäsche. Wir haben einfach nicht kapiert, was zum Teufel eigentlich – ich meine, zwei Sekunden vorher hatten wir noch Witze gerissen von wegen Jekyll-Sex, verdammt nochmal. Sobald du dich von Daniel weggedreht hattest, hat er mir den Zettel in die Hand gedrückt, deine Arme von hinten festgehalten und zu mir gesagt: ›Lies vor.‹«
    »Ich fand’s schlimm«, sagte Justin sanft. »Du hast dich wie wild hin und her geworfen, um dich von Daniel loszureißen, aber er hat nicht losgelassen. Es war … Du hast versucht, ihn zu beißen, in den Arm. Ich dachte, wieso macht er das, wenn es dein Zettel ist, soll er ihn dir zurückgeben, aber ich war einfach zu verdattert, um irgendwas zu sagen.«
    Das wunderte mich nicht. Die beiden waren keine Männer der Tat, ihre Stärke waren Gedanken und Worte, und sie waren in etwas hineinkatapultiert worden, wo mit Gedanken und

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