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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Gespräch einen von ihnen schwerer belastete als die anderen, dass einer beschützte, beschützt wurde, schuldig war, defensiv: nichts.
    »Dann«, sagte Abby mit einem tiefen Atemzug. »Lex, ich weiß nicht, ob du darüber nachgedacht hattest, was es bedeuten würde, wenn du deinen Anteil an Ned verkaufen würdest. Du … ich meine, du durchdenkst nicht immer alles gründlich.«
    Ein böses Schnaufen von Rafe. »Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt. Mensch, Lexie, was hast du bloß gedacht, was passieren würde? Du verkaufst, schaffst dir irgendwo eine hübsche kleine Eigentumswohnung an, und alles ist weiterhin Friede, Freude, Eierkuchen? Was hast du erwartet, wie es abgelaufen wäre, wenn wir uns jeden Morgen an der Uni gesehen hätten? Küsschen hier, Küsschen da und hier bitte schön ist dein Sandwich? Wir hätten nie wieder ein Wort mit dir geredet. Wir hätten dich nur noch abgrundtief gehasst.«
    »Und Ned hätte uns anderen keine ruhige Minute mehr gelassen«, sagte Abby, »jeden Tag hätte er uns in den Ohren gelegen, an irgendeinen Investor zu verkaufen und das Haus in Apartments zu verwandeln oder einen Golfclub oder was immer er damit vorhatte. Er hätte einziehen können, mit uns zusammenwohnen, und wir hätten nichts dagegen machen können. Früher oder später hätten wir klein beigegeben. Wir hätten das Haus verloren. Whitethorn House.«
    Irgendetwas regte sich, zart und halbwach: ein ganz leichtes Biegen der Wände, ein Dielenknarren oben, ein Luftzug, der die Treppe heruntergeweht kam.
    »Wir haben alle losgeschrien«, sagte Justin leise. »Alle auf einmal – ich wusste nicht mal, was ich da von mir gab. Du konntest dich von Daniel losreißen, und Rafe hat dich festgehalten, und du hast ihn geschlagen – richtig fest, Lexie, du hast ihm die Faust in den Magen gerammt –«
    »Es war eine Schlägerei«, sagte Rafe. »Wir können es nennen, wie wir wollen, aber Tatsache ist, wir haben uns gekloppt wie eine Horde Besoffene an einer Straßenecke. Dreißig Sekunden länger, und wir hätten uns in der Küche auf dem Boden gewälzt und nach Strich und Faden aufeinander eingedroschen. Bloß, ehe es so weit kommen konnte –«
    »Bloß«, sagte Abby, und ihre Stimme schnitt ihm so jäh das Wort ab wie ein Türenknallen, »so weit ist es nicht gekommen.«
    Sie blickte Rafe ruhig, unverwandt in die Augen. Nach einer Sekunde zuckte er die Achseln, ließ sich nach hinten auf die Couch fallen und wippte nervös mit einem Fuß.
    »Es hätte jeder von uns sein können«, sagte Abby, ob zu mir oder zu Rafe, konnte ich nicht sagen. In ihrer Stimme lag eine tiefe Leidenschaft, die mich erschreckte. »Wir haben alle getobt vor Zorn – ich war noch nie im Leben so wütend. Alles andere war purer Zufall, ist einfach passiert. In dem Moment hätte dich jeder von uns umbringen können, Lexie, und das kannst du uns nicht verdenken.«
    Wieder regte sich etwas, irgendwo kaum hörbar: ein Huschen im Flur, ein Summen in den Schornsteinen. »Tu ich auch nicht«, sagte ich. Ich fragte mich – und das war natürlich Quatsch, ich muss als Kind zu viele Geistergeschichten gelesen haben –, ob genau das Lexies Auftrag an mich gewesen war: ihnen zu sagen, dass es okay war. »Ihr hattet wirklich allen Grund, wütend zu sein. Selbst danach hättet ihr mich mit gutem Recht rausschmeißen können.«
    »Wir haben darüber gesprochen«, sagte Abby. Rafe hob eine Augenbraue. »Daniel und ich. Ob wir noch zusammenwohnen können, nach … Aber es wäre kompliziert geworden, und überhaupt, es ging schließlich um dich . Was immer auch passiert war, du warst immer noch du.«
    »Das Nächste, woran ich mich erinnere«, sagte Justin sehr leise, »ist das Knallen der Hintertür, und dann lag da dieses Messer mitten in der Küche auf dem Boden. Mit Blut dran. Ich konnte es nicht glauben. Ich konnte nicht glauben, dass das wirklich passiert war.«
    »Und ihr habt mich einfach gehen lassen?«, sagte ich, zu meinen Händen. »Ihr habt nicht mal versucht, nach mir zu –«
    »Doch«, sagte Abby, beugte sich vor und versuchte, meinen Blick aufzufangen. »Doch, Lex. Natürlich. Aber es hat erst mal einen Moment gedauert, bis wir richtig begriffen hatten, was passiert war, aber als es uns dann klar wurde … Daniel hat als Erster reagiert, wir anderen waren wie gelähmt. Als ich mich wieder bewegen konnte, hatte er schon die Taschenlampe in der Hand. Er hat gesagt, Rafe und ich sollten zu Hause bleiben, für den Fall, dass du zurückkommst. Wir

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