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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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er sich zu mir beugte, um mir zum Abschied einen Kuss zu geben. Ich fragte ihn nicht nach dem Fall. Wenn er irgendetwas Gutes gefunden hätte, selbst die schwächste Spur, hätte er es mir erzählt.
    »Lass dich von Mackey bloß nicht drängen«, sagte er im Auto. »Zu irgendwas, was du nicht willst.«
    »Ach komm«, sagte ich. »Wann hab ich mich je von irgendwem zu irgendwas drängen lassen?«
    Sam stellte den Rückspiegel ein, bedächtig. »Ja«, sagte er. »Ich weiß.«
    Als er die Tür öffnete, schlug mir der Geruch des Gebäudes entgegen wie ein Schrei: ein alter, schwer fassbarer Geruch, Feuchtigkeit und Rauch und Zitrone, kein Vergleich zu dem aseptisch riechenden DHG in dem neuen Gebäude im Phoenix Park. Ich hasse Nostalgie, sie ist für mich Faulheit mit hübscherem Beiwerk, aber bei jedem Schritt traf mich irgendetwas mitten in den Bauch: Ich, wie ich mit einem Packen Akten in jeder Hand und einem Apfel zwischen den Zähnen die Treppe heruntergelaufen komme; mein Partner und ich, wie wir uns draußen vor der Tür des Verhörraums abklatschen, nachdem wir unser erstes Geständnis bekommen haben; wir beide, wie wir auf dem Flur mit vereinten Kräften auf den Superintendent einreden, jeder in ein Ohr, uns doch bitte mehr Überstunden zu genehmigen. Mir schien, die Gänge hätten von Escher sein können, alle Wände neigten sich fast unmerklich, schwindelerregend, aber wie genau, konnte ich nicht sagen, weil ich meine Augen einfach nicht richtig klar bekam.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte Sam leise.
    »Ausgehungert«, sagte ich. »Wessen Idee war das, sich zur Abendessenszeit zu treffen?«
    Sam schmunzelte erleichtert und drückte kurz meine Hand. »Wir haben noch keinen SOKO-Raum«, sagte er. »Bis wir entschieden haben … na, wie wir die Sache machen, von wo aus wir arbeiten.« Dann öffnete er die Tür zum Großraumbüro des Morddezernats.
    Frank saß rittlings auf einem Stuhl am Ende des Raumes, vor der großen Tafel, und alle seine Beteuerungen, es ginge nur um einen zwanglosen Plausch zwischen ihm und mir und Sam, entpuppten sich als blanker Unfug. Cooper, der Gerichtsmediziner, und O'Kelly, der Superintendent des Morddezernats, saßen auf gegenüberliegenden Seiten des Raumes an Schreibtischen, die Arme verschränkt, beide mit identischer gereizter Miene. Normalerweise hätte ich das lustig gefunden – Cooper sieht aus wie ein Reiher und O'Kelly wie eine Bulldogge mit überkämmter Halbglatze –, doch stattdessen beschlich mich ein sehr ungutes Gefühl. Cooper und O'Kelly können einander nicht ausstehen. Um sie für noch so kurze Zeit in ein und denselben Raum zu kriegen, sind eine gehörige Portion Überredungskunst und etliche Flaschen ziemlich guten Weins vonnöten. Frank hatte sämtliche Register gezogen, um beide herzulocken. Sam warf mir einen misstrauischen, warnenden Blick zu. Damit hatte auch er nicht gerechnet.
    »Maddox«, sagte O'Kelly, und es gelang ihm, es gekränkt klingen zu lassen. O'Kelly hatte nie etwas mit mir anfangen können, als ich noch im Morddezernat war, aber kaum hatte ich die Versetzung beantragt, verwandelte ich mich irgendwie in den undankbaren Schützling, der Jahre aufopfernder Förderung verächtlich von sich wies und sich ins DHG verkrümelte. »Wie ist das Leben in der zweiten Liga?«
    »Das Paradies ist nichts dagegen, Sir«, sagte ich. Wenn ich angespannt bin, werde ich schnippisch. »Abend, Dr. Cooper.«
    »Immer ein Vergnügen, Detective Maddox«, sagte Cooper. Er ignorierte Sam. Cooper kann auch Sam nicht ausstehen und so gut wie jeden anderen. Bisher hatte ich bei ihm noch einen Stein im Brett, aber wenn er dahinterkam, dass ich mit Sam liiert war, würde ich mit Lichtgeschwindigkeit auf seiner Weihnachtskartenliste nach unten sausen.
    »Im Morddezernat«, sagte O'Kelly und bedachte meine kaputte Jeans mit einem angewiderten Blick – aus irgendeinem Grund hatte ich mich nicht durchringen können, meine hübschen neuen Präsentables-Image-Klamotten anzuziehen, nicht hierfür – »können sich zumindest die meisten eine anständige Garderobe leisten. Wie geht’s Ryan?«
    Ich war nicht sicher, ob die Frage gehässig gemeint war. Rob Ryan war mein Partner gewesen, im Morddezernat. Ich hatte ihn länger nicht gesehen. Ich hatte auch O'Kelly oder Cooper länger nicht gesehen, nicht mehr seit meiner Versetzung. Das ging mir hier alles zu schnell und unkontrolliert. »Schickt Gruß und Kuss«, sagte ich.
    »Hab ich mir irgendwie gedacht«, sagte O'Kelly und

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