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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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kicherte in Sams Richtung, der den Blick abwandte.
    Das Großraumbüro bietet zwanzig Leuten Platz, aber es herrschte Sonntagabendleere: Computer ausgeschaltet, Schreibtische übersät mit Papierkram und Imbisspackungen – die Putzkolonne kommt erst Montagmorgen. Ganz hinten in der Ecke am Fenster standen die Schreibtische, an denen Rob und ich gesessen hatten, noch immer im rechten Winkel zueinander, so, wie wir es mochten, um Schulter an Schulter arbeiten zu können. Irgendein anderes Team, vielleicht die Neulinge, die uns ersetzten, hatte sie übernommen. Wer immer jetzt an meinem Schreibtisch saß, hatte ein Kind – ein kleiner Junge mit fehlenden Vorderzähnen grinste auf einem Foto in Silberrahmen –, und auf dem Tisch lag ein Stapel Zeugenaussagen, über den die Sonne fiel. Sie hatte mir immer in die Augen geschienen, um diese Tageszeit.
    Ich hatte Mühe zu atmen: Die Luft kam mir zu zäh vor, beinahe fest. Eine von den Neonröhren war kurz davor, den Geist aufzugeben, was dem Raum eine flimmernde, epileptische Atmosphäre verlieh, wie aus einem Fiebertraum. Einige von den dicken Ordnern, die auf den Aktenschränken aufgereiht waren, trugen noch immer meine Handschrift auf den Rückenschildern. Sam zog seinen Stuhl an seinen Schreibtisch und blickte mich mit einer schwachen Furche zwischen den Brauen an, aber er sagte nichts, wofür ich dankbar war. Ich konzentrierte mich auf Franks Gesicht. Er hatte Ringe unter den Augen, und er hatte sich beim Rasieren geschnitten, doch er wirkte hellwach, aufmerksam und energiegeladen. Er freute sich sichtlich auf die Besprechung.
    Er sah, dass ich ihn beobachtete. »Froh, wieder hier zu sein?«
    »Ganz verzückt«, sagte ich. Ich fragte mich plötzlich, ob er mich mit Absicht in diesen Raum gelockt hatte, weil er wusste, dass es mir an die Nieren gehen könnte. Ich warf meinen Rucksack auf einen Schreibtisch – den von Costello, ich erkannte die Handschrift auf den Unterlagen –, lehnte mich an die Wand und schob die Hände in die Jackentaschen.
    »So gesellig unsere Runde auch sein mag«, sagte Cooper und rückte noch ein Stückchen weiter von O'Kelly weg, »ich für meinen Teil wäre hocherfreut, wenn wir zur Sache kommen könnten.«
    »In Ordnung«, sagte Frank. »Der Fall Madison – das heißt, der Fall Unbekannte alias Madison. Wie heißt der offiziell?«
    »SOKO Spiegel«, sagte Sam. Offenbar hatte es sich bis ins Präsidium rumgesprochen, wie das Opfer aussah. Na toll. Ich fragte mich, ob es zu spät war, meine Meinung zu ändern, nach Hause zu fahren und eine Pizza zu bestellen.
    Frank nickte. »Dann also SOKO Spiegel. Es sind drei Tage vergangen, und wir haben keine Verdächtigen, keine Spuren und keine Identifizierung. Wie Sie alle wissen, ist es meiner Meinung nach Zeit, einen anderen Kurs einzuschlagen –«
    »Immer langsam mit den jungen Pferden«, sagte O'Kelly. »Zu Ihrem ›anderen Kurs‹ kommen wir gleich, keine Bange. Aber vorher habe ich eine Frage.«
    »Schießen Sie los«, sagte Frank großzügig, mit einer entsprechend ausladenden Geste.
    O'Kelly warf ihm einen bösen Blick zu. Es zirkulierte eine unangenehme Menge Testosteron im Raum. »Sofern mir da nicht irgendwas entgangen ist«, sagte er, »wurde die Frau doch ermordet. Korrigieren Sie mich, wenn ich mich täusche, Mackey, aber ich sehe keinerlei Hinweis auf häusliche Gewalt, und ich sehe nichts, was besagt, dass sie undercover war. Wieso wollt ihr zwei« – er deutete ruckartig mit dem Kinn auf mich und Frank – »überhaupt bei diesem Fall mitmischen?«
    »Will ich gar nicht«, sagte ich.
    »Das Opfer hat eine Identität benutzt, die ich für eine Mitarbeiterin von mir geschaffen habe«, sagte Frank, »und das nehme ich ziemlich persönlich. Sie haben mich also am Hals. Kann sein, dass Sie auch noch Detective Maddox am Hals haben. Das zu klären, sind wir hier.«
    »Das kann ich auch gleich klarstellen«, schaltete ich mich ein.
    »Moment noch«, sagte Frank. »Lass mich erst zu Ende reden. Sobald ich fertig bin, kannst du mir nach Herzenslust eine Abfuhr erteilen, und ich sage kein Wort. Klingt das nicht verlockend?«
    Ich gab auf. Auch das ist eine Kunst, die Frank beherrscht: die Fähigkeit, so zu klingen, als würde er ein Riesenzugeständnis machen, so dass du wie eine unverschämte Ziege dastehst, wenn du nicht bereit bist, ihm entgegenzukommen. »Klingt traumhaft«, sagte ich.
    »Alles klar?«, fragte Frank an alle gerichtet. »Wenn ihr mir nach unserer Besprechung sagt, ich

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