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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Schreierei kannst du dir eigentlich sparen«, sagte Abby, die ein Würstchen zerteilte. »In fünf Minuten kann er sich nicht mal erinnern, dass er dich gesehen hat. Nach dem Kaffee. Bei Rafe immer erst nach dem Kaffee.«
    »Ja, aber dann meckert er, ich hätte ihm nicht genug Zeit gegeben, sich fertig zu machen. Im Ernst, diesmal fahr ich ohne ihn, und wenn er zu spät kommt, dann ist das sein Problem. Soll er sich doch selbst ein Auto zulegen oder von mir aus zu Fuß gehen. Ist mir egal –«
    »Jeden Morgen«, sagte Abby zu mir über Justin hinweg, der wütend mit seinem Buttermesser hantierte.
    Ich verdrehte die Augen. Draußen vor der Terrassentür hinter Abbys Kopf mümmelte ein Kaninchen auf dem Rasen, hinterließ kleine dunkle Muster von Pfotenabdrücken im weißen Tau.

    Eine halbe Stunde später brachen Rafe und Justin auf – Justin fuhr seinen Wagen vors Haus und wartete, hupend und unverständlich aus dem Fenster schimpfend, bis Rafe schließlich in die Küche gestürzt kam, den Mantel halb angezogen, in einer Hand seinen Rucksack, der wild hin und her pendelte, sich noch eine Scheibe Toast schnappte, sie zwischen die Zähne schob, wieder davonsprintete und die Haustür so laut zuknallte, dass die Wände wackelten. Abby machte den Abwasch und sang dabei leise in ihrer warmen Altstimme vor sich hin. Daniel rauchte eine filterlose Zigarette, dünne Rauchkringel schwebten in den hellen Sonnenstrahlen, die durchs Fenster hereinfielen. Sie hatten sich in meiner Gegenwart entspannt; ich war drin.
    Ich hätte mich deshalb wesentlich besser fühlen sollen, als es der Fall war. Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich die vier mögen könnte. Bei Daniel und Rafe war ich mir noch nicht sicher, aber Justin hatte eine Herzlichkeit, die umso einnehmender war, als sie so übereifrig und unbeholfen wirkte, und was Abby betraf, da hatte Frank richtiggelegen: Unter anderen Umständen hätte ich sie gern als Freundin gehabt.
    Sie hatten jemanden aus ihrer Mitte verloren, und sie wussten es nicht einmal, und es bestand immer noch die Möglichkeit, dass ich der Grund dafür war. Und ich saß hier in ihrer Küche, frühstückte mit ihnen und machte ihnen was vor. Das Misstrauen vom Vorabend – Schierlingssteak, du liebe Zeit – kam mir auf einmal so albern und überkandidelt vor, dass ich am liebsten im Boden versunken wäre.
    »Daniel, wir müssen langsam los«, sagte Abby schließlich mit einem Blick auf die Uhr an der Wand und wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab. »Brauchst du irgendwas aus der Welt da draußen, Lex?«
    »Zigaretten«, sagte ich. »Meine sind fast alle.«
    Sie fischte eine Packung Marlboro Lights aus der Tasche ihres Morgenmantels und warf sie mir zu. »Nimm die. Ich kauf unterwegs neue. Was hast du heute vor?«
    »Faul auf dem Sofa liegen und lesen und essen. Sind noch Kekse da?«
    »Die mit Vanillecreme, die du so magst, in der Keksdose und Schokoplätzchen im Gefrierfach.« Sie faltete das Geschirrtuch ordentlich zusammen und hängte es über die Stange am Herd. »Wär dir nicht doch lieber, wenn einer von uns hier bei dir bleibt?«
    Justin hatte mich bestimmt schon ein halbes Dutzend Mal gefragt. Ich schlug die Augen zur Decke. »Na-hein.«
    Ich sah den kurzen Blick, den Abby Daniel über meinen Kopf hinweg zuwarf, aber er blätterte eine Seite um und achtete gar nicht auf uns. »Na gut«, sagte sie. »Fall bloß nicht auf der Treppe in Ohnmacht oder so. Fünf Minuten, Daniel?«
    Daniel nickte, ohne aufzublicken. Abby lief flink auf Socken die Treppe hoch. Ich hörte, wie sie Schubladen öffnete und schloss und gleich darauf wieder anfing, vor sich hin zu singen.
    Lexie rauchte mehr als ich, eine Packung am Tag, und sie fing nach dem Frühstück an. Ich nahm Daniels Streichhölzer und zündete mir eine Zigarette an.
    Daniel sah auf die Seitenzahl seines Buches, klappte es zu und legte es beiseite. »Solltest du wirklich rauchen?«, fragte er. »Unter den Umständen.«
    »Nee«, sagte ich kess und blies einen Rauchstrahl über den Tisch zu ihm rüber. »Du denn?«
    Er musste schmunzeln. »Du siehst heute Morgen besser aus«, sagte er. »Gestern Abend hast du sehr müde gewirkt und ein bisschen verloren, fand ich. Was ja auch kein Wunder ist, denke ich, aber es ist schön, dass deine Energie langsam wiederkommt.«
    Ich nahm mir vor, meinen Vitalitätslevel in den nächsten Tagen nach und nach zu erhöhen. »Die Ärzte haben gesagt, es würde eine Weile dauern und ich sollte nichts

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