Totengleich
drin, ein verschimmelter Zylinderhut, ein zerbrochenes Steckenpferd, das mich anschielte wie der Pferdekopf im ersten Teil vom Paten , etwas, das aussah wie ein halbes Akkordeon. Ich verstehe nichts von Antiquitäten, aber nichts von alldem sah wertvoll aus, jedenfalls nicht wertvoll genug, um dafür zu töten. Es sah eher aus wie Kram, den man draußen vors Gartentor stellen würde in der Hoffnung, betrunkene Studenten mit einem Kitschfimmel würden es mit nach Hause nehmen.
Abby und Justin waren beide ordentlich, auf ganz unterschiedliche Weise. Abby hatte eine Schwäche für Nippsachen – eine winzige Alabastervase mit einer Handvoll Veilchen drin, ein Kerzenleuchter aus Bleikristall, eine alte Bonbondose mit dem Bild einer rotlippigen jungen Frau in grotesker ägyptischer Aufmachung auf dem Deckel, alles glänzend sauber und auf so gut wie jeder Abstellfläche akkurat angeordnet. Und sie liebte Farben – die Vorhänge bestanden aus zusammengenähten alten Stoffstreifen, roter Damast, Baumwolle mit Glockenblumenmuster, hauchdünne Spitze, und sie hatte Stoffflicken über die kahlen Stellen in der verschlissenen Tapete geklebt. Der Raum wirkte gemütlich und verschroben und ein bisschen unwirklich, wie die Höhle eines Waldgeschöpfes aus einem Kinderbuch, das eine Rüschenmütze trägt und Marmeladentörtchen backt.
Justin hatte zu meinem Erstaunen einen minimalistischen Geschmack. Neben seinem Nachttisch sah ich ein Nest aus Büchern und Fotokopien und beschriebenen Blättern, und die Rückseite seiner Tür war bedeckt mit Fotos von allen im Haus – symmetrisch angeordnet in offenbar chronologischer Reihenfolge und mit einer Art Klarsichtfixierung darüber –, aber alles andere war spartanisch und sauber und funktional: weiße Bettwäsche, weiße wehende Vorhänge, dunkle, glänzend polierte Holzmöbel, ordentliche Reihen zusammengehöriger Socken in den Schubladen und auf Hochglanz geputzte Schuhe unten im Kleiderschrank. Das Zimmer roch ganz schwach nach Zypresse und maskulin.
Ich konnte nichts Verdächtiges in den Zimmern feststellen, aber irgendetwas an allen dreien ließ mir keine Ruhe. Es dauerte eine Weile, bis ich wusste, was es war. Ich kniete gerade auf Justins Boden und lugte unter sein Bett wie ein Einbrecher (nichts, nicht mal Wollmäuse), als der Groschen fiel: Sie hatten etwas Dauerhaftes an sich. Ich hatte noch nie irgendwo gewohnt, wo ich an der Tapete herummachen oder Sachen ankleben konnte – meine Tante und mein Onkel hätten sicher nichts dagegen gehabt, aber in ihrem Haus herrschte eine Zehenspitzenatmosphäre, so dass mir so etwas wie hier gar nicht erst in den Sinn gekommen wäre, und alle meine Vermieter waren anscheinend dem Glauben verfallen, dass sie mir ein architektonisches Juwel vermieteten. Es hatte mich Monate gekostet, den Besitzer meiner derzeitigen vier Wände davon zu überzeugen, dass der Wert seiner Immobilie nicht in den Keller stürzen würde, wenn ich die Wände weiß strich statt bananen-kotzgelb und den LSD-Trip-Teppichboden in den Gartenschuppen verbannte. Das alles hatte mich bisher nicht gestört, doch hier, in diesem Haus voll fröhlichem, ungezwungenem Besitzerstolz – ich hätte auch gern ein Wandbild gehabt; Sam kann malen – kam es mir auf einmal äußerst seltsam vor, mit Duldung irgendeines Fremden zu wohnen, um Erlaubnis fragen zu müssen wie ein kleines Kind, ehe ich irgendeine Spur hinterließ.
Der obere Stock: mein Zimmer, das von Daniel, zwei weitere Räume. Der neben Daniels war voll mit alten Möbeln, die sich kunterbunt türmten, wie nach einem Erdbeben: diese gräulichen, viel zu kleinen Stühle, die eigentlich nie benutzt werden, ein Vitrinenschrank, der aussah, als hätte sich das gesamte Rokoko darauf übergeben, und so gut wie alles dazwischen. Das ein oder andere war offensichtlich herausgeholt worden – Schleifspuren, Leerstellen –, vermutlich, um die Räume zu möblieren, als die fünf einzogen. Was zurückgeblieben war lag unter zentimetertiefem klebrigen Staub. Der Raum neben meinem enthielt noch mehr Gerümpel (eine gesprungene steinerne Wärmflasche, lehmverkrustete grüne Gummistiefel, ein von Mäusen angefressenes Gobelinkissen mit Hirsch- und Blumenmotiv) und bedrohlich wankende Stapel Kartons und alte Lederkoffer. Irgendwer hatte vor nicht allzu langer Zeit angefangen, den ganzen Plunder durchzusehen: etliche helle Fingerabdrücke auf einigen Kofferdeckeln, einer sogar halb saubergewischt, rätselhafte Umrisse in Ecken und
Weitere Kostenlose Bücher