Totengleich
traumhafte Zeugin ab, falls es je so weit kommen sollte. Willst du hören, worüber ihr gesprochen habt?«
Vickys Verstand arbeitete tatsächlich so: Da in ihrem Kopf im Grunde genommen keinerlei Aktivität stattfand, kamen Gespräche, die hineingingen, praktisch unberührt wieder heraus. Das war einer der Hauptgründe, warum ich überhaupt Kontakt zu ihr gehalten hatte. »Hilf mir auf die Sprünge«, sagte ich.
»Ihr habt euch zufällig auf der Grafton Street getroffen. Sie sagt, du wärst ›irgendwie total weggetreten‹ gewesen, hättest dich anfänglich gar nicht an sie erinnern können, nicht gewusst, wann ihr euch zuletzt gesehen hattet. Du hast behauptet, du hättest einen üblen Kater, aber sie hat es sich mit dem schrecklichen Nervenzusammenbruch erklärt, von dem sie gehört hatte.« Frank genoss das: Seine Stimme hatte einen schnellen, konzentrierten Rhythmus, wie ein Raubtier auf der Jagd. Ich dagegen amüsierte mich deutlich weniger. Ich hatte ja gewusst, dass so etwas passiert sein musste, nur die Einzelheiten hatten noch gefehlt, und recht zu behalten war längst nicht so befriedigend, wie man meinen könnte. »Doch sobald du wieder wusstest, wer sie war, warst du sehr freundlich. Du hast sogar vorgeschlagen, einen Kaffee trinken zu gehen, um zu quatschen. Wer immer unser Mädel war, Nerven hatte sie.«
»Ja«, sagte ich. Ich merkte, dass ich in die Hocke gegangen war, wie ein Sprinter kurz vor dem Start. Lexies Zimmer um mich herum kam mir spöttisch und verschlagen vor, als wimmelte es von geheimen Schubladen und falschen Dielenbrettern und Schnappfallen. »Das kann man wohl sagen.«
»Ihr seid in das Café im Brown Thomas gegangen, sie hat dir ihre Schnäppchen gezeigt, und ihr beide habt eine Weile Weißt-du-noch? gespielt. Du warst erstaunlicherweise ziemlich still. Aber jetzt kommt’s: Irgendwann hat Vicky dich gefragt, ob du inzwischen am Trinity wärst. Offenbar hattest du ihr nicht lange vor deinem Nervenzusammenbruch erzählt, du wärst das UCD leid. Du würdest überlegen, die Uni zu wechseln, vielleicht ans Trinity zu gehen, vielleicht ins Ausland. Kommt dir das bekannt vor?«
»Ja«, sagte ich. Ich setzte mich vorsichtig auf Lexies Bett. »Ja, tut es.«
Das war gegen Semesterende. Frank hatte mir nicht erzählt, ob die Operation nach den Sommerferien weitergehen würde, und ich wollte eine Ausstiegsgeschichte vorbereiten, falls ich eine brauchte. Vickys andere Eigenschaft: Sie verbreitete Klatsch und Tratsch in Windeseile an der ganzen Uni, und darauf war hundertprozentig Verlass.
Mir drehte sich der Kopf, seltsam geformte Puzzlesteine ordneten sich neu und rasteten mit leisen Klickgeräuschen woanders wieder ein. Diesen Zufall mit dem Trinity – dass die Unbekannte schnurstracks auf meine alte Uni zugesteuert war, da weitergemacht hatte, wo ich aufgehört hatte –, den fand ich schon die ganze Zeit gruselig, aber das hier war fast schlimmer. Der einzige Zufall war, dass zwei junge Frauen einander über den Weg liefen, in einer kleinen Großstadt, und Vicky die Klette hängt ohnehin fast ständig in der Stadt herum in der Hoffnung, irgendwelchen nützlichen Leuten über den Weg zu laufen. Lexie war nicht per Zufall am Trinity gelandet oder weil sie aufgrund irgendeiner dunklen magnetischen Anziehungskraft nicht anders konnte, als meinem Schatten zu folgen, sich in meine Ecken zu drängen. Ich hatte es ihr vorgeschlagen. Wir hatten nahtlos zusammengearbeitet, sie und ich. Ich hatte sie in dieses Haus gelockt, dieses Leben, in jeder Hinsicht genauso klar und sicher, wie sie mich gelockt hatte.
Frank redete unverdrossen weiter. »Unser Mädel hat gesagt, nein, sie wäre zurzeit nicht an der Uni, sie wäre länger verreist gewesen. Wo genau sie war, hat sie nicht gesagt – Vicky vermutete, in der Klapsmühle. Aber jetzt wird’s interessant: Vicky tippte auf eine Klapsmühle in Amerika oder vielleicht Kanada. Zum Teil, weil ihr einfiel, dass deine erfundene Familie in Kanada lebte, aber vor allem, weil du dir in der Zwischenzeit einen ziemlich eindeutigen amerikanischen Akzent angewöhnt hattest. Wir wissen also nicht nur, wie unser Mädel an Lexie Madisons Identität gekommen ist und wo, sondern wir haben jetzt auch eine ziemlich gute Vorstellung, wo wir mit der Suche nach ihr anfangen können. Ich denke, wir sind Vicky der Klette ein oder zwei Cocktails schuldig.«
»Eher du als ich«, sagte ich. Ich wusste, dass meine Stimme merkwürdig klang, aber so aufgekratzt, wie Frank
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