Totengrund
toter Cop ist immer ein Held.«
»Kommt drauf an, wie der Cop ums Leben gekommen ist.« Jane griff nach der Klinke und fand die Tür verschlossen. Daraufhin wandte sie ihre Aufmerksamkeit der Garage zu. Die Zufahrt zum Tor war geräumt, und sie sah Reifenspuren – breite Spuren, wie von einem Pick-up oder einem Geländewagen. Vorsichtig stieg sie die eisglatten Verandastufen hinunter. Am Garagentor hielt sie inne. Sie wusste, dass sie, wenn sie dieses Tor öffnete, eine unsichtbare Grenze überschreiten würde. Sie hatte keinen Durchsuchungsbeschluss, und zudem befand sie sich außerhalb ihres Zuständigkeitsgebiets. Aber Bobby Martineau war tot, er würde sich kaum beschweren. Und am Ende ging es doch nur um Gerechtigkeit, oder nicht? Gerechtigkeit für Bobby selbst ebenso wie für den Jungen, der beschuldigt wurde, ihn getötet zu haben.
Sie packte den Griff des Garagentors, doch die Laufschienen waren vereist, und das Tor bewegte sich keinen Millimeter. Cathy packte mit an, und sie zogen mit vereinten Kräften, bis es plötzlich einen Ruck gab und sie das Tor hochschieben konnten. Und dann standen sie da und starrten mit großen Augen in die Garage.
Drinnen stand ein riesiges, schwarz glänzendes Ungetüm.
»Sieh mal einer an«, murmelte Cathy. »Der ist so neu, da sind sogar noch die Händlerschilder dran.«
Bewundernd strich Jane mit der Hand über den makellosen Lack, während sie um den Pick-up herumging. Es war ein Ford F-450 XLT. »Dieses Schätzchen muss mindestens fünfzigtausend Dollar gekostet haben«, sagte sie.
»Wie konnte Bobby sich den leisten?«
Jane war inzwischen weitergegangen, und als sie sah, was hinter dem Pick-up stand, hielt sie verblüfft inne. »Eine noch bessere Frage: Wie konnte er sich die leisten?«
»Was ist es?«
Jane deutete auf die Harley. Es war eine schwarze V-Rod Muscle, und wie der Pick-up sah sie brandneu aus. Jane wusste nicht, was so ein Motorrad kostete, aber billig war es ganz gewiss nicht. »Sieht aus, als wäre Deputy Martineau vor Kurzem zu Geld gekommen«, sagte sie leise. Sie drehte sich zu Cathy um, die die Harley mit offenem Mund anstarrte. »Er hatte nicht zufällig irgendwo einen reichen Erbonkel, oder?«
Cathy schüttelte perplex den Kopf. »Nach allem, was ich gehört habe, ist er nicht mal mit den Unterhaltszahlungen nachgekommen.«
»Woher hatte er dann das Geld für dieses Motorrad? Und für den Pick-up?« Jane blickte sich in der schäbigen Garage mit ihren durchhängenden Balken um. »Hier passt offenbar einiges ganz und gar nicht zusammen. Das stellt alles infrage, was man uns über Martineau erzählt hat.«
»Er war Polizist. Vielleicht hat ihn jemand dafür bezahlt, dass er beide Augen zudrückt.«
Janes Blick richtete sich wieder auf die Harley, während sie zu begreifen versuchte, in welchem Zusammenhang die Maschine mit seinem Tod stand. Ihr war jetzt klar, dass er die Bordkamera absichtlich ausgeschaltet hatte, um sein Tun zu verschleiern. Die Leitstelle hatte ihm lediglich mitgeteilt, dass Maura Isles dort oben wartete, dass sie allein sei und auf Rettung warte. Nachdem er den Funkspruch entgegengenommen hatte, hatte Martineau die Kamera ausgeschaltet und war anschließend nach Doyle Mountain hinaufgefahren.
Und was war dann passiert? Welche Rolle spielte der Junge? Vielleicht ging es in Wirklichkeit nur um den Jungen.
Sie sah Cathy an. »Wie weit ist es bis Kingdom Come?«
»Von hier sind es dreißig oder vierzig Meilen. Praktisch am Ende der Welt.«
»Vielleicht sollten wir hinfahren und mit Julians Mutter reden.«
»Ich glaube nicht, dass da zurzeit irgendjemand wohnt. Ich habe gehört, die Bewohner hätten ihre Häuser für den Winter verlassen.«
»Sie erinnern sich doch, von wem diese Information kam? Von demselben Deputy, der immer wieder in Kingdom Come gewesen ist. Und der dort nie irgendetwas zu beanstanden fand.«
»Bobby Martineau«, sagte Cathy leise.
Jane deutete auf die Harley. »Nach dieser Entdeckung können wir wohl nichts von dem, was Martineau gesagt hat, für bare Münze nehmen. Jemand hat ihn bezahlt. Jemand, der dafür reichlich Geld übrig hatte.«
Keine der beiden Frauen musste den Namen laut aussprechen. Jeremiah Goode .
»Lassen Sie uns in Kingdom Come vorbeischauen«, sagte Jane. »Ich wüsste zu gerne, was wir da nicht sehen sollen.«
29
Durch das Autofenster erblickte Jane eine endlose weiße Ebene, und in der Mitte ein Knäuel aus braunen Klumpen. Es waren Bisons, die sich zum Schutz vor dem
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