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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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huschten, sich zu Gruppen formierten und wieder auseinandergingen. Als die Zeitanzeige auf acht Uhr morgens zuging und Dutzende von Hotelgästen an die Rezeption strömten, um auszuchecken, wusste sie nicht mehr, wohin sie zuerst schauen sollte.
    Es war Daniel, der sie entdeckte. »Da!«, sagte er.
    Gabriel drückte die Pausetaste. Jane zählte mindestens zwei Dutzend Personen, die auf diesem Standbild in der Lobby zu sehen waren; die meisten standen an der Rezeption. Eine weitere Gruppe war im Hintergrund nahe der Sitzecke zu erkennen. Zwei Männer telefonierten mit ihren Handys und sahen beide gleichzeitig auf ihre Armbanduhren. Willkommen im Zeitalter des zwanghaften Multitaskings.
    Queenan sagte: »Ich sehe sie nicht.«
    »Gehen Sie ein Stück zurück«, sagte Daniel. »Ich bin sicher, dass sie es war.«
    Gabriel spulte den Film Bild für Bild zurück. Sie sahen die Menschen rückwärts gehen, die Gruppen sich auflösen und neu zusammensetzen. Einer der Handytelefonierer zuckte hin und her, als ob er zu einem ungleichmäßigen Rhythmus tanzte, der aus seinem Hörer drang.
    »Das ist sie«, sagte Daniel leise.
    Die dunkelhaarige Frau stand am äußersten Rand des Bildschirms, wo die Kamera ihr Gesicht im Profil erfasste. Kein Wunder, dass Jane sie beim ersten Mal übersehen hatte: Maura bahnte sich ihren Weg durch die Lobby, wo ein halbes Dutzend Gäste zwischen ihr und der Kamera standen. Nur in diesem einen Augenblick, als sie an einer Lücke in der Menschenmenge vorbeiging, war sie auf den Film gebannt worden.
    »Keine sehr scharfe Aufnahme«, meinte Queenan.
    »Ich weiß, dass sie es ist«, sagte Daniel, der Mauras Bild mit unverhohlenem Verlangen anstarrte. »Es ist ihr Gesicht, ihre Frisur. Und ich erkenne den Anorak wieder.«
    »Mal sehen, ob wir noch weitere Einstellungen finden«, sagte Gabriel. Er spulte die Aufnahme wieder vor, Bild für Bild. Mauras dunkles Haar war wieder zu sehen, als sie weiterging, mehrmals blitzte es kurz auf und verschwand wieder. Erst ganz am Rand des Bildausschnitts tauchte sie wieder aus der Menge auf. Sie trug eine dunkle Hose und einen weißen Skianorak mit pelzbesetzter Kapuze. Gabriel spulte noch ein Bild vor, und Mauras Kopf verschwand aus dem Blickfeld; nur ihr halber Oberkörper war noch zu sehen.
    »Ach, sieh mal an«, meinte Queenan und deutete auf den Bildschirm. »Sie hat einen Rollkoffer dabei.« Er wandte sich zu Jane um. »Ich denke, das beseitigt alle Unklarheiten, finden Sie nicht? Sie hat ihren eigenen Koffer gepackt und ist abgereist. Sie wurde nicht mit Gewalt aus dem Gebäude geschleppt. Am Samstag um fünf nach acht war sie jedenfalls lebendig und wohlauf und hat das Hotel aus eigener Kraft verlassen.« Er sah auf seine Uhr und stand auf. »Rufen Sie mich an, falls Sie noch irgendetwas Bemerkenswertes finden.«
    »Sie wollen nicht bleiben?«
    »Ma ’ am, wir haben ihr Foto an jede Zeitung und jeden Fernsehsender im Staat Wyoming geschickt. Wir nehmen jeden Anruf an, der eingeht. Das Problem ist, dass sie – oder eine Frau, die ihr ähnlich sieht – so ziemlich überall gesichtet worden ist.«
    »Wo genau?«, fragte Jane.
    »Es gibt kaum einen Ort, an dem sie nicht gesehen wurde. Das Dinosauriermuseum in Thermopolis. Grubb ’ s General Store in Sublette County. Das Restaurant des Irma Hotel in Cody. Ein Dutzend verschiedene Orte, kreuz und quer über den Bundesstaat verteilt. Im Augenblick wüsste ich nicht, was ich noch tun könnte. Hören Sie, ich kenne Ihre verschwundene Bekannte ja nicht. Ich weiß nicht, was sie für eine Frau ist. Aber ich denke mir, dass sie irgendeinen Kerl kennengelernt hat, vielleicht einen von den anderen Ärzten dort auf der Tagung. Sie packt ihren Koffer, reist einen Tag früher ab, und sie beschließen, zusammen irgendwohin zu fahren. Finden Sie nicht auch, dass das die wahrscheinlichste Erklärung ist? Dass sie sich mit diesem Typen in irgendeinem Hotelzimmer eingeschlossen hat, und dass sie vor lauter wildem Sex vergessen haben, was für ein Tag gerade ist?«
    Jane, der unangenehm bewusst war, dass Daniel neben ihr stand, erwiderte: »Das würde sie nicht tun.«
    »Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich diesen Satz in den unterschiedlichsten Varianten schon zu hören bekommen habe. Er ist ein guter Ehemann. So etwas würde er nie tun. Oder: Sie würde ihre Kinder niemals verlassen. Aber die Leute überraschen einen immer wieder. Sie tun irgendetwas Verrücktes, und dann stellt man plötzlich fest, dass man

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