Totenheer (German Edition)
Wellen sich senkten, zeigten sich auf den Decks die Geister toter Kentaren. Das Wasser brach durch ihre schemenhaften Leiber hindurch, schien sie mit seiner kühlen Gewalt beinahe mit sich in die Ti e fe ziehen zu wollen. Doch sie verharrten bei ihren Gebeinen und beobachteten schweigend.
„Innerhalb der Grenzen dieses Landes sind wir wohl ni e mals allein“, knurrte Larkyen.
„Des Königs Soldaten sind überall, sie sehen und hören uns und fl ü stern ihr Wissen weiter an ihre Nächsten, bis es das Ohr des Königs erreicht. Jetzt in diesem Moment, erfährt Wulfgar, dass wir an der Küste sind.“
Es dauerte nicht lange, da sah Larkyen ein winziges Licht am Hor i zont. Es musste eine Antwort auf das Leuchtfeuer des Turms sein.
„Das müssen sie sein, Schiffsherr Gyland und seine Ma n nen.“
Das Licht kam näher. Aus der Dunkelheit schälte sich der Bug eines Schiffes.
„Die Wellenbrecher“, bestätigte Wothar, „das berüchtigste Schiff von Tarak-Norss.“
Die Wellenbrecher erinnerte mit ihrem erhöhten und stab i len Heck an die markante Bauart bolwarischer Handelsschiffe, j e doch war sie auf Grund ihrer schlanken Form wesentlich schneller. Sie wurde von dem langen Ruder am Heck gesteuert. Von Deck erhob sich ein ei n ziger hoher Mast. Das riesige Vierkantsegel wurde von der Man n schaft rasch eingeholt. Mit jeweils sechzehn Ruderern zu jeder Seite bahnten sie sich den letzten Weg durch die Wellen bis zur Anleg e stelle vor.
Larkyen hielt es für besser, seine wahre Identität vor der Mannschaft geheim zu halten. Seine Raubtieraugen wiesen ihn als Unsterblichen aus und waren für viele Menschen bereits Grund genug für Furcht oder gar Feindschaft. Das Zusamme n treffen mit den Schmugglern würde sich als entspannter erwe i sen, wenn sie ihn für einen gewöh n lichen Menschen hielten. Er zog sich die Kapuze seines Mantels über und hüllte sein G e sicht in Schatten.
Nachdem die Schmuggler an dem Steg angelegt hatten, trat Wothar langsam auf das Schiff zu.
„Gyland, ich grüße dich und deine Besatzung.“
„Wothar“, grummelte jemand.
Ein untersetzter Mann in ranziger Fellkleidung trat auf den Steg. Sein haarloser Kopf wies grauenhafte Brandnarben auf, die sich in fleischroten Striemen überall auf seiner Haut a b zeichneten. Seine Nase war nichts als ein formloses Stück Knorpel, die Lippen wirkten unnatürlich glatt und in die Länge gezogen, wie bei einer Kröte. Und dort, wo seine Ohren hätten sein müssen, klafften lediglich zwei L ö cher.
„Ein Kentare braucht also mal wieder meine Dienste“, sagte Gyland, „doch diese Dienste sind teuer. Was also begehrst du diesmal, Wothar? Frauen, Wein, neue Waffen aus den Schmi e den des Ostens?“
„Weder noch. Ich und mein Begleiter müssen auf dem schnel l sten Weg hinüber an die Küste von Bolwarien.“
„Und wie willst du dafür bezahlen?“
„Du wirst in Edelsteinen bezahlt. Sechzehn Steine, die rein s ten und besten, aus der einstigen Schatzkammer meines Herrn.“
„Das ist wohl der letzte Rest eurer früheren Kriegsbeute.“ Gyland lachte. „Meinetwegen nehme ich dich und deinen Freund hier an Bord. Doch ist es für dich, Wothar, nicht ein wenig zu gefährlich für einen Ausflug nach Bolwarien? Die jungen Leute kennen dein G e sicht nicht, aber die Alten haben ganz gewiss nicht vergessen, wer die Werwölfe Kentars in ihre Hauptstadt geführt hat.“
„Wir werden uns bemühen, unerkannt zu reisen“, sagte Wothar.
Nur kurz zog der Unsterbliche den Blick des Schmugglers auf sich.
„Wer ist dein Freund? Er ist so schweigsam.“
„Nur ein einfacher Mann, der mich auf meiner Reise begle i tet.“
„Also gut“, sagte Gyland. „Wie immer werde ich meine weit e ren Fragen für mich behalten.“
Wothar grinste, zeigte seinen Lederbeutel und wog ihn schwer in der Hand. Dann nahm er sechzehn dunkelgrüne Edelsteine heraus und übergab sie Gyland.
So gut das schummrige Licht es zuließ, untersuchte der Schmuggler jeden Stein mit geschultem Auge, bevor er ein z u friedenes Lächeln aufsetzte und nickte.
„Ich heiße euch beide an Bord der Wellenbrecher willko m men. Bis zur Morgendämmerung haben wir den Hafen von Kaythan in Bolw a rien angesteuert.“
Die Besatzung, die unter Gyland diente, bestand aus fünfun d dreißig raubeinigen Seemännern. Wind und Wetter hatten ihre Gesichter längst gegerbt. Ihre zerschlissene Kleidung stank nach Schweiß und Meerwasser. Die Mannschaft schien ihrem Schiffsherrn viel
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