Totenklage
Augenblick. » Nein. Niemand verschwindet einfach so. Und schon gar nicht, wenn er 100 Millionen Pfund schwer ist. Es sei denn, Sie haben mir noch mehr darüber zu erzählen.«
Die SMS an der Imbissbude zählen nicht. Penrys Gesichtsausdruck und dass sein Toyota Yaris einen Rostflecken über dem Radkasten hat und auf seinem Klavier keine Noten liegen, auch nicht.
» Nein. Nein, ich glaube nicht.«
Es gibt sogar noch zwei weitere Hinweise, die jedoch so unbedeutend sind, dass sie erst recht nicht zählen. Einmal tätigte Penry seine letzte extravagante Anschaffung – den Wintergarten – fünfzehn Wochen nach Rattigans Tod und eine Ewigkeit, nachdem er zum letzten Mal Geld von der Schule unterschlagen hatte. Und zum anderen steckte Rattigans Firma – obwohl er selbst stinkreich war – in einer schweren Krise. 2006 war er noch ziemlich weit oben auf der Liste der reichsten Männer Großbritanniens. Allerdings gehörten sowohl die Stahlindustrie als auch das Importgeschäft zu denjenigen Branchen, die am schwersten von der Krise gebeutelt wurden. Im Dezember 2009, zum Zeitpunkt seines Todes, schrieben beide Geschäftssparten rote Zahlen, und er versuchte, die Verluste der Stahlfirmen umzuschulden. Angesichts der damaligen Lage an den Kreditmärkten hätte er von seinen Gläubigern genauso gut verlangen können, ihm eins über den Schädel zu ziehen und ihn auszurauben. Nachdem sich die Wirtschaft wieder einigermaßen erholt hatte, schätzte die Financial Times den Wert seiner verbleibenden Firmen auf lediglich 22 bis 27 Millionen Pfund. Keine Ahnung, was einem Typen wie Rattigan da durch den Kopf geht. Ist man traurig, weil man 65 Millionen Pfund verloren hat? Oder froh, dass einem noch 25 Millionen Pfund geblieben sind und man nicht Konkurs anmelden musste? Würde das einen dazu bringen, einen Flugzeugabsturz vorzutäuschen? Und wie hängt das alles mit dem Mord an Janet Mancini, ihrer Tochter und Stacey Edwards zusammen? Ich habe keine Ahnung.
Dann fällt mir etwas anderes ein, und das kann ich Jackson guten Gewissens erzählen.
» Die Leute von StreetSafe sagen, dass Stacey Edwards die Einwanderer aus dem Balkan, die das Prostitutionsgeschäft in der Stadt an sich gerissen haben, regelrecht gehasst hat. Außerdem riecht das Ganze doch nach organisierter Kriminalität, finde ich. Vielleicht gibt es da eine Verbindung. Rattigan hat hauptsächlich mit dem baltischen Markt Geschäfte gemacht – was immer das auch heißen soll. Zumindest hat er Waren aus Russland importiert. Vielleicht auch Drogen, wer weiß? Wenn man Drogen ins Land schmuggeln will, schadet es bestimmt nicht, wenn man Eigentümer einer Reederei ist.«
» Klingt ziemlich weit hergeholt, finden Sie nicht?« Jackson lacht mich aus, aber es ist ein freundliches Lachen. » Wer macht sich denn die Arbeit und wird auf legalem Wege Millionär, nur um dann Drogen ins Land zu schmuggeln?«
» Ich weiß. Das gibt alles keinen Sinn.«
» Okay. Vielen Dank. Könnte ja trotzdem was dran sein. Ziemlich viel Spekulation, aber Sie haben mich ja vorgewarnt. Vielleicht fördert die Autopsie an Stacey Edwards noch etwas Interessantes zutage. In der Zwischenzeit müssen wir jede Prostituierte befragen, die wir erwischen können. Kommen Sie gut mit Alexander aus?«
» Ja, Sir.«
» Okay. Sie bilden weiterhin ein Team. Mal sehen, ob ich noch weitere weibliche Beamte hinzuziehen kann. Brian Penry. Was sollen wir mit dem anstellen? Ihn hierher schleifen und ordentlich in die Mangel nehmen?«
» Das wird nichts bringen. Letztes Mal hat er uns auch nichts erzählt. Außerdem gibt es keine handfeste Verbindung zwischen ihm und den Morden.«
» Nein.«
Ein typisches walisisches Vorgesetzten-Nein. Ein Danke-fürs-Gespräch-Nein. Ein Gehen-Sie-nach-Hause-und-schlafen-Sie-sich-aus-Nein. Ein Nein, das sich einen Teufel darum schert, warum eine gewisse DC Griffiths jeden Tag um fünf Uhr morgens aufwacht und ein seltsames Kribbeln verspürt, wie eine düstere Vorahnung.
Jackson linst zum dritten Mal in seine Tasse. Sie ist immer noch leer. Er knallt sie auf den Tisch.
» Vergessen wir Rattigan. Er ist tot. Er hat damit nichts zu tun. Vergessen wir Penry. Wir können ihn nicht mit dem Fall in Verbindung bringen, und außerdem wird er sowieso nicht reden. Wie Sie schon sagten: Das hier riecht nach organisierter Kriminalität. Irgendwo da draußen ist jemand – höchstwahrscheinlich eine Prostituierte –, die weiß, was passiert ist. Die müssen wir finden. Wir müssen
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