Totenklage
daher fielen wir wieder in unsere alten Leben zurück. Wir sehen uns nicht so oft, wie wir gerne würden, aber er hat viel Arbeit und ich habe viel Arbeit und außerdem hat er ein schlechtes Gewissen, weil er eine Affäre mit einer Ex-Patientin gehabt hat.
Ich esse brav alles auf. Tatsächlich habe ich einen Mordshunger – wann habe ich zum letzten Mal etwas Warmes gegessen? Also vernichte ich seinen Tortellinivorrat, reiße ein großes Loch in seine Salatreserven und füge dem Apfelkuchen mit Streuseln, den ich in seinem Kühlschrank entdecke, beträchtlichen Schaden zu. Ed glaubt, dass ich den ganzen Tag esse. Was beweist, dass er als Wissenschaftler nichts taugt. Er sollte mal aus experimentellen Gründen nichts außer alter Salami und mit zwei Sorten Schimmel überzogene Tomaten im Haus haben, dann würde er schnell zu einer realistischeren Einschätzung meiner Essgewohnheiten gelangen.
Ed legt etwas Käse auf einen Teller – Cheddar, walisischen Ziegenkäse und französischen Weichkäse –, und wir gehen wieder ins Wohnzimmer. Er hat zwei Kinder, einen zehnjährigen Jungen und ein achtjähriges Mädchen. Überall stehen Fotos herum, die sie in verschiedenen Altersstufen zeigen, und irgendwie bin ich von ihnen fasziniert. Ein paar Bilder zeigen seine Tochter – Maya –, als sie ungefähr in Aprils Alter war. Die interessieren mich ganz besonders. Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen den Bildern von Maya und denen von April. Ein enorm wichtiger Unterschied, der mich fast zum Wahnsinn treibt, doch ich komme einfach nicht darauf.
» Was ist?«
» Nichts. Ich denke nach. Wie geht’s den Kindern?«
Ed fängt an zu erzählen. Gut. Sie sind gut in der Schule, kommen aber nicht mit ihrem Stiefvater aus, einem Bauunternehmer aus Barry, bla bla bla.
Wir knabbern an dem Käse, unterhalten uns, kuscheln uns aufs Sofa und gucken doch noch die letzte halbe Stunde von Inspektor Morse. Ich verkünde laut alle dramatischen Wendungen, kurz bevor sie tatsächlich eintreffen, woraufhin er mir entweder durchs Haar fährt oder mich, wenn ich besonders vorwitzig bin, an den Ohren zieht, bis ich » Au!« sage. Nach Morse sehen wir uns die Spätnachrichten an.
Terrorismus. Sparmaßnahmen. Streit über die Bildungsreform. Wir fragen uns, ob sich Jeremy Paxman die Zähne bleichen lässt.
Als uns die Spätnachrichten zu langweilig werden, rolle ich mich herum und lege mich auf Eds Brust.
» Würdest du wieder was mit mir anfangen?«
Er küsst sanft meine Stirn.
» Vielleicht.«
Ich setze mich auf ihn und spüre, wie er unter mir steif wird. Ich hüpfe ein bisschen auf und ab, die Rache für das Ohrenziehen. Er hält mich fest, damit ich nichts kaputtmache, aber nur leicht.
» Nicht, dass wir wieder miteinander schlafen sollten«, sage ich. » Aber schön zu wissen, dass du nicht von vornherein ablehnen würdest.«
» Nicht von vornherein, nein.«
» Warum kommst du mich nie besuchen?«
» Keine Ahnung. Die Arbeit.«
Das ist keine Antwort, und ich winde mich aus seinem Griff, um umso heftiger auf ihm herumzuhüpfen. Heftig genug, dass er zusammenzuckt.
» Das ist keine Antwort.«
» Also gut. Ich glaube, dass wir im Bett landen würden, wenn ich dich besuche. Dass wir wieder zusammenkommen würden.«
» Und das willst du nicht.«
» Nein, so ist es nicht. Aber ich weiß nicht, ob du es willst. Ich will nicht warten, bis du dich endlich entschieden hast. Bis du rausgefunden hast, wer du bist.«
» Glaubst du, das weiß ich nicht?«
» Da bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass du das noch nicht weißt. Du bist sozusagen noch in Arbeit.«
Ich will schon wieder auf und ab hüpfen, doch er hat in allen Punkten recht, und recht zu haben verdient keine Strafe. Daher drücke ich ihn noch einmal liebevoll, gleite von ihm herunter und taste auf der Suche nach meinen Schuhen auf dem Boden herum. » Das gefällt mir so gut an dir, Mr Edward Saunders. Bei dir ist die Arbeit abgeschlossen. Fertig eingetütet und bereit zur Auslieferung.«
Er lächelt milde und beobachtet mich. » Das fasse ich jetzt mal als Kompliment auf.«
» Ist es auch. Wenn ich das sage, schon.«
In der Küche suche ich nach einer Plastiktüte, damit ich seinen Käse klauen kann.
» Was machst du da?«
» Ich klaue deinen Käse.«
Ich darf den Käse mitnehmen. Wir geben uns wieder Luftküsse und versprechen uns gegenseitig, uns bald wieder zu treffen. Ich glaube, das ist ehrlich gemeint. Auf dem Weg zur Tür werfe ich noch einen Blick auf
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