Totenklage
tolle Vorabrecherche. Jim Davis ist ein Versager, wenn es um Vernehmungen geht. Ich bezweifle, dass ihnen Edwards irgendetwas verraten hätte. Doch zumindest hätte sie vor ihrem Tod Besuch von zwei Polizeibeamten bekommen. Das wäre ihre Chance gewesen oder zumindest eine Warnung, ein letzter Strohhalm. Wahrscheinlich hätte sie nicht danach gegriffen. Das tun drogenabhängige Prostituierte ohne Selbstwertgefühl nur selten. Und doch – der Strohhalm wäre da gewesen. Und mehr können wir sowieso nicht anbieten.
Aber dafür war ich ja viel zu schlau. Ich musste ja unbedingt Davis rausdrängen und Jane zu den Vorbereitungen überreden. Um Edwards dann ganz schlau bei ihren Frühstückscornflakes zu überraschen. Und nun ist sie tot. Kein Strohhalm mehr. Nur Isolierband, Kabelbinder und – darauf würde ich mein Auto verwetten – eine Überdosis Heroin und ein Mörder, der ihr die Nase zugehalten hat. Nur ein leichter Fingerdruck. Eine Minute. Zwei Minuten. Höchstens fünf. Dann war der Job erledigt, der Mörder machte sich aus dem Staub, und Stacey Edwards’ kleine Seele schwebte hinter ihm zum Fenster hinaus.
17
Abends um halb acht ist die Besprechung vorbei. Operation Lohan läuft jetzt auf Hochtouren. Den Mord an Janet Mancini hätten die meisten Ermittler wohl völlig zu Recht als eine Sache abgetan, die eben ab und zu vorkommt, wenn Drogen und Prostitution im Spiel sind. Natürlich sind sie nicht der Meinung, dass so etwas passieren sollte oder dass es auch nur ansatzweise der Normalität entspricht, doch solche Dinge passieren eben. Klar, der Mord an April war schlimm, aber auch so etwas wie ein Kollateralschaden. Lasst die Finger von Drogen. Geht nicht auf den Strich. Sonst werden schlimme Dinge geschehen. Wie zum Beispiel, dass eure Tochter ermordet wird. Das dürfte euch einen Denkzettel verpassen: Geratet nicht auf die schiefe Bahn.
Aber Stacey Edwards’ Tod war kein Zufall. Jacksons Vermutung – die ich und alle anderen teilen – ist, dass die Art und Weise, wie Edwards gestorben ist, eine Botschaft darstellt. Nämlich, dass Mancini ermordet wurde und nicht zufällig an einer Überdosis starb. Dass ihr Tod keine einmalige Sache war. Dass sich auch noch weitere Frauen in Gefahr befinden könnten. Edwards’ Tod könnte eine Warnung gewesen sein. Haltet die Klappe, sonst …
Während sich die Beamten langsam zerstreuen, deutet Jackson erst mit dem Finger auf mich und dann auf sein Büro. Sein zerknittertes Gesicht ist völlig ausdruckslos. Ich weiß nicht, was er von mir will, doch ich vermute, dass er mir gleich wieder einen Anschiss verpasst. Anscheinend ist er auf den Geschmack gekommen.
» Setzen Sie sich«, sagt er. » Ich hole mir einen Tee. Wollen Sie auch was?«
Die Kaffeemaschine spuckt auch Schwarztee aus. Meinen Kräutertee muss ich mir allerdings in der kleinen Büroküche zubereiten. Aber ich kann ja schlecht von einem DCI verlangen, mir einen Kräutertee aufzusetzen. » Nein, ich versuche, Koffein zu vermeiden.«
» Keine Zigaretten, kein Alkohol und kein Kaffee ?«
Ich zucke entschuldigend mit den Schultern, obwohl ich mich für nichts entschuldigen muss.
» Sind Sie Vegetarierin?«
» Nein. Nein, Fleisch esse ich.«
» Das ist ja schon mal was.« Jacksons Augenbrauen vollführen einen Tanz, der wohl Bände spräche, wenn ich ihn entschlüsseln könnte. Kann ich aber nicht. » Wollen Sie vielleicht einen Kräutertee?«
Die Unentschlossenheit steht mir anscheinend ins Gesicht geschrieben. Ich suche fieberhaft nach der richtigen Antwort. Jackson erlöst mich aus meinem Dilemma, indem er die Tür öffnet und jemandem befiehlt, ihm einen Tee und » für DC Griffiths hier dieses Gesöff, das wie nasses Heu schmeckt« zu bringen. Er knallt die Tür wieder zu.
» Ihre erste Leiche?«
» Ja.«
» Ist ziemlich hart, oder? Während meiner Zeit als Ermittler habe ich vier gefunden. Ist keine schöne Sache.«
» DS Alexander war dabei. Ohne sie wäre es schlimmer gewesen.«
» Sie haben richtig gehandelt. Gut, dass Sie und nicht Jim Davis auf diese Vernehmung angesetzt waren. Sie hatten recht, als Sie sich vorbereitet haben. Ich glaube, wir dürfen davon ausgehen, dass Stacey Edwards den anonymen Anruf getätigt hat.«
» Wenn wir gleich losgefahren wären, hätten wir sie noch lebend angetroffen.«
» Vielleicht. Das wissen Sie nicht mit Sicherheit. Möglicherweise wäre sie gar nicht da gewesen. Wer weiß, wo sie sich letzte Nacht rumgetrieben hat. Wir hatten keinen Grund zur
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