Totenklage
wirft das Telefon auf das möglicherweise neue Sofa und geht zur Haustür, um mich reinzulassen. Wir geben uns herzliche Luftküsse.
» Ist sowieso nicht die beste aller Morse- Folgen. Solides Mittelfeld.«
Er streichelt meinen Nacken, wie es nur Leute dürfen, mit denen man schon mal geschlafen hat. » Komm rein. Du siehst müde aus. Willst du was trinken?«
» Ich bin hundemüde, aber ich kann nicht schlafen. Ein großer Fall, der mir ziemlich zu schaffen macht.«
» Ist das ein Schrei nach Whisky?« Seine Hände verharren über einer Ansammlung von Flaschen und Gläsern.
Ich zögere. Eigentlich habe ich aufgehört zu trinken. Ich bin schon labil genug, da kann ich nichts brauchen, was mich noch weiter aus dem Gleichgewicht bringt. Dieser Tage bin ich allerdings ein bisschen abenteuerlustig, aber nur ein bisschen, und ich fühle mich nicht allzu stabil.
» Hm. Zu alkoholisch. Hast du was, das nach Alkohol schmeckt, in dem aber keiner drin ist?«
» Gin und Tonic? Viel Tonic und ein Hauch von Gin?«
» Und Eis und Zitrone. Perfekt.«
Der gute alte Ed. Er mixt mir den perfekten Drink, ist so nett zu fragen, ob ich schon gegessen habe, ist nicht überrascht, als ich verneine, und zaubert von irgendwoher Tortellini mit Spinat und Ricotta, die er mir warm, mit einem Spritzer Olivenöl und einer Schüssel voll grünem Salat serviert.
» Selbstgemacht«, sagt er und deutet auf die Tortellini. » Ich hab meine neue Nudelmaschine ausprobiert.«
» Ach, die englische Mittelschicht«, sage ich mit vollem Mund. » Wer sonst serviert unverhofft hereinschneienden Streunern hausgemachte Tortellini?«
» Die Italiener?«
» Sehr witzig. Die haben dafür das Haus voller Omas und schreiender Kinder. Da sind mir geschiedene Männer aus der englischen Mittelschicht in jedem Fall lieber.«
Ed trinkt jetzt Rotwein statt Whisky, um irgendeiner Form von englischer Etikette Genüge zu tun, von der ich keinen blassen Schimmer habe.
Wir haben schon eine komische Beziehung, wir beide. Ich habe ihn kennengelernt, als ich ein bis über die Ohren mit Medikamenten vollgedröhnter, durchgeknallter Teenager war. Ich war einer Horde von Psychiatern ausgeliefert, die dachten, ihre Aufgabe wäre es, weitere Pillen in meinen Hals zu stopfen, sobald ich einen unabhängigen Gedanken, eine Bewegung, ein Gefühl äußerte oder einen Streit vom Zaun brach. Besonders Letzteres. Ed – Mr Edward Saunders – war damals ein klinischer Psychologe mit der kühnen Theorie, unabhängige Gedanken könnten womöglich ein positives Zeichen sein, selbst wenn diese Argumentation andeutete, dass alle Vertreter der psychiatrischen Zunft und Psychiater im Besonderen auf einem großen Schiff aufs Meer geschleppt werden sollten, um sie dort in einem haiverseuchten Gewässer zu versenken und noch ein paar Wasserbomben hinterherzuwerfen.
Ed hat einfach nur Zeit mit mir verbracht. Ich weiß nicht, wie viele Stunden in wie vielen Wochen, weil ich damals kein Zeitgefühl hatte. Aber er behandelte mich so lange wie ein menschliches Wesen, bis ich tatsächlich eines wurde. Natürlich lag es nicht allein an ihm, dass ich mich wieder fing. Tatsächlich hatte es gar nicht so viel mit ihm zu tun. Da bin ich meiner Familie und meiner eigenen Sturheit mehr schuldig. Aber von allen Psychoheinis wäre Ed der Einzige, den ich von diesem Schiff geholt hätte. Er hat den Glauben nicht verloren. Den Glauben an mich. Das habe ich ihm damals hoch angerechnet und tue es immer noch.
Dann haben wir den Kontakt abgebrochen. Ich bin nach Cambridge. Ed blieb der einsame Fels in der Brandung des South Wales Mental Health Service. Er kommt eigentlich aus der Nähe von London. Sein Vater ist Anwalt, und sein Bruder hat irgendeinen langweiligen, aber profitablen Job in der City. Ihn selbst dagegen hat es irgendwie nach Südwales verschlagen, und dort ist er geblieben. Wir haben uns wiedergesehen, als er für einen temporären Forschungsauftrag für ein paar Semester in Cambridge war. Zufällig sind wir uns auf der Straße begegnet. Eins führte zum anderen. Seine Ehe war so gut wie tot, nur hatte die Beerdigung noch nicht stattgefunden. Wir wurden Freunde, und da wir gut miteinander auskamen, beschlossen wir, miteinander zu schlafen. Das ging ein paar Monate so. Es war schön. Ed ist nämlich ein guter Liebhaber. Ich hätte nicht gedacht, dass die Leute aus Hertfordshire so leidenschaftlich sind. Doch eine richtige Beziehung wurde nicht daraus. Und der Freundschaft stand der Sex im Weg,
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