Totenklang
mich auf eine Idee. Eilig gehe ich in meinen Wagen, zähle die Münzen im Beutel unter dem Kopfkissen und beschließe, eine Anzeige aufzugeben. Drei Zeilen werde ich mir leisten können. Wie fasse ich meine geballten Vorzüge in drei kleine Zeilen, circa drei mal dreiunddreißig Zeichen? Bevor mir die Augen zufallen, hab ich’s, Werbefuzzi-Umschulung sei Dank: Fit, tüchtig, handwerkl. begabt, ideenreich, flexibel, mobil, Mitte 40, morgen der Ihre: 027xx/97XX. Hundert Zeichen mit Punkt. Vielleicht sollte ich statt des Alters die Männlichkeit herausstellen … männlich, müde … Schlaf gut, Heiner. Ein guter Plan. Damit schläft es sich gleich leichter ein. Morgen geht’s direkt in meinen alten Heimatort Burbach, wo ich die Anzeige in der Niederlassung der Siegener Zeitung aufgeben werde.
5
Samstag
Mein Wasserrohr zwingt mich bereits vor dem Aufstehen und der beginnenden Morgendämmerung hinaus. Barfuß und nur mit einem T-Shirt bekleidet drücke ich meinen gelben Strahl gegen eine junge Tanne. Man stelle sich vor, alle Bäume würden einmal zurückstrullern. Boah, wat sein ich möh. Während ich das vorletzte Tröpfchen abschüttle, streift mein Blick durch das kleine Tal. Aus einer Art diffusem Pflichtgefühl heraus gehe ich zum Weiherufer. Den Alten kann ich nicht entdecken. Schmatzgeräusche vernehme ich. Das müssen die Fische sein, die nach den Mücken und dem Insektengetier schnappen. Vielleicht ist es eine Nacht zum Töten, wenn schon der Tag sich nicht eignete. Kurz überlege ich, einen erneuten Fischzug zu starten. Mein herzhaftes Gähnen entscheidet dagegen über die Frage: essen oder schlafen.
Ich werde in den Wagen zurückgehen. Auf dem Weg dorthin höre ich auf der Höhe des Anglerheims ein Klappern. Der Alte wird sich in den Schutz der Hütte gelegt haben. Dort ist es sicher windstiller und weniger nass.
Jetzt habe ich’s, ich werde in die Anzeige statt ›Mitte 40‹ ›m. (für männlich), 44 J.‹ schreiben, dann hätte ich mein Geschlecht als zusätzlichen Anstellungsgrund für die Heben-Bringen-Tragen-Jobs auch erwähnt und habe mit den wenigen Zeichen alles gesagt. Passt genau und mein Werbebudget wird nicht überschritten.
Hinter mir höre ich etwas schnaufen. Kurz stellen sich mir die Nackenhaare auf. Aus den müden Augenwinkeln sehe ich einen großen und mehrere kleine Schatten den Weg kreuzen. Leise schleiche ich in den Wagen und die wilde Schweinsfamilie streift weiter durch den Wald. Jetzt bin ich wach. Beinahe hellwach und das zur Unzeit. Hier gibt es definitiv nichts für mich zu tun, außer noch zwei, drei Stündchen zu schlafen. Da ist der Plan im Kopf, der nach sofortiger Umsetzung schreit, doch der Startschuss fällt erst mit Öffnung der Anzeigenannahme. Bis dahin, halt Ruhe, Heiner.
Gleich wird es passieren: Das ist der Moment, auf den die nagenden Zweifel gewartet haben. Der Moment, in dem ich ihnen die volle Aufmerksamkeit schenken muss. Nichts zu tun, zum Lesen ist es zu dunkel, Ablenkungsessen ist keines da. Heimtückisch werden die Zweifel ihre Armee an bösartigen Fragen aus der Deckung ins Feld lassen. Aus vollen Rohren werden sie mit negativen Konjunktivfragen auf meine Illusionen und Ideen schießen. Was wäre wenn … Was ist, wenn keiner auf deine Anzeige antwortet? Hättest du das Geld doch lieber verfuttert. Was ist, wenn dir ein grober Fehler unterläuft? Du bist nicht versichert. Was, wenn Rudi den Wagen bald zurückhaben will … Ich werde mich wappnen müssen, den Konjunktiven eine Falle stellen. Gegenkonjunktive abfeuern: Was ist, wenn nicht … Was also, wenn Rudi den Wagen gar nicht wiederhaben will? Dann musst du den Winter in dem Ding verbringen. Falsche Frage. Was also, wenn Rudi den Wagen nicht wiederhaben will, du einen tollen Job bekommst, dir genug Brennstoff leisten kannst für die Beheizung oder sogar eine Festanstellung, eine Wohnung … Das Gefecht betreibe ich dann so lange, bis ich vor Wiederholungen einschlafe. Die kenne ich noch aus dem Fernsehen, zurzeit bin ich eher medienfern, doch jedwede Wiederholung eignet sich immer zum Einschlafen. Für Fernsehfilme ist es günstig, mal den Anfang zu verpennen, mal den Mittelteil, mal den Schluss. So ist gewährleistet, dass man dreimal eine Wiederholung anschaut, immer mit dem Gefühl, dass noch etwas Neues kommt. Doch das funktioniert nur in einem begrenzten Zeitraum. Ähnlich kann man auch innerhalb der Kommunikation mit Ehefrauen vorgehen, je nach Kaliber. Es ist bisweilen ratsam
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