Totenklang
Im Schein des Mondes, der Sterne und des Feuers hebt sich Felicitas’ Gesicht ein wenig bleich hervor. Ich erkenne weder Angst noch Unbehagen. Sie hält es immer noch für ein Spiel.
Franky, vollkommen in sich versunken, betrunken von seinem Spektakel, blickt zu den Darstellern auf dem Druidenstein auf, und ich nutze die Gelegenheit, mich geduckt aus dem Feuerschein zu stehlen. Die Sandalen werfe ich davon, umrunde eilig den Druidenstein und beginne meinen Aufstieg auf der Rückseite des Gesteins. Ich muss mich beeilen, da ich von hier aus nicht sehen kann, was geschieht. Durch den erneuten Einsatz der Trommeln robbe ich mich schneller vorwärts, ohne Rücksicht auf den Lärm herabfallender Steine, der meinen Weg begleitet. Ein schriller Schrei lässt mich meine Fußsohlen gänzlich vergessen und ich schiebe mich keuchend auf die Spitze des Steines.
Sealthiel hat Felicitas gefesselt und sie steht ganz nah am Abgrund.
Die Trommeln verstummen abermals. Der, der ist , richtet sein Wort an die Versammelten. Das hat er sich so nicht ins Drehbuch geschrieben, denn plötzlich plärrt er:
»Fasst ihn! Jehudiel! Fasst ihn!« Dabei zeigt er mit dem Stab auf mich.
»Sealthiel, halte sie fest!«, bekommt Abi einen Befehl.
Irritation entsteht unter den Teilnehmern. Noch scheint sich niemand zu bewegen, erst als ein Schuss aus der kleinen Pistole, abgegeben in die Luft, selbige zerreißt, kommt Aktion in die Truppe. Einige beginnen, den Druidenstein zu besteigen. Andere, wahrscheinlich die, die bemerkt haben, dass aus Spiel Ernst geworden ist, bleiben erst mal hocken. Ich sehe, dass sich drei von ihnen zu entfernen versuchen. Franky sieht es auch und legt auf sie an:
»Stehen bleiben, ihr Verräter!« Sie bleiben stehen, wie unter Schock. Die Gruppenlähmung setzt bei denen ein, die nicht mit dem Aufstieg beschäftigt sind.
Abi ist dermaßen irritiert, vielleicht leidet er auch am Entzug, dass er gar nicht mehr weiß, was er tun soll. Er hält Felicitas weiterhin fest, vielmehr hält er sich an ihr fest, und mit einem Sprung habe ich die beiden erreicht, reiße sie zu Boden und versuche, mit Felicitas, die ich mit meinem Körper schütze, vom Abgrund wegzurollen. Abi krallt sich an ihrem Gewand fest, oben an ihrer Schulter, und sie beißt ihm in die Hand. Während er kurz aufschreit, verpasse ich ihm einen Tritt in die Eingeweide und er fliegt von uns weg. Ganz knapp vor der Kuppe landet er auf seinem Gesäß. Felicitas ist in Sicherheit. Wir bleiben geduckt auf dem Boden unter dem Kreuz liegen. Ich fische die Nagelschere aus dem Wattebeutel und trenne die Lederriemen auf, die ihre Hände auf dem Rücken fixiert haben. Als sie frei ist, umklammert sie mich heftig, und für einen Moment vergesse ich alles ringsum. Auch Abi. Mit seinem unverwechselbar irren Gegacker hat er sich aufgerappelt, an die Kante gestellt, und als ich über Felicitas hinweggucke, springt er.
»Nein, nein, nein!«, durchstößt ein verzweifelter Ruf Sealthiels Abflug.
»So doch nicht, nicht so und nicht du! Nicht jetzt du, du Schwachkopf!«
Einigen geistesgegenwärtigen Jüngern ist es gelungen, Franky die Waffe zu entreißen und ihn zu Boden zu werfen. Und der, der ist , wehrt sich nicht. Denn er ist nichts mehr.
Die Schüsse haben die Feuerwehr und die Polizei auf den Plan gerufen. Ihr Martinshorn ist bereits zu hören, ihre Lichter sind zu sehen.
Felicitas hält sich immer noch an mir fest. Als es ihr bewusst wird, lässt sie los und wir setzen uns, ans Kreuz gelehnt, dicht nebeneinander. So viel gäbe es jetzt zu erzählen, dass wir schweigend in den Himmel starren. Für Sekunden oder Minuten, man weiß es nicht. Ich fühle mich der Zeit entronnen. Die Sterne zwinkern uns zu.
»Weißt du, was aus den gefallenen Engeln geworden ist?«, fragt sie mich. Ich schüttle den Kopf.
»Sie sollen festgebundene Sterne sein, wie sieben brennende Berge, an einem grausigen Ort, wo Himmel und Erde zu Ende sind. Dort sollen sie ihre Strafe verbüßen, für 10.000 Jahre.« Was für ein Strafmaß, denkt der Advokat.
»Und die Frauen der gefallenen Engel sollen zu Sirenen werden.« Sie sang wundervoll, denke ich.
Das Bellen eines Hundes erregt unsere Aufmerksamkeit und wir schauen nach unten. Azazel leckt seinem auf dem Boden liegenden Herrn das Gesicht.
»Höllenhund«, sagt Felicitas nur.
»Ja. – Was genau war deine Rolle? Uriel oder Herke?«
»Wer ist Herke?«, will sie wissen und ich erzähle ihr die Geschichte der Liebe mit
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