Totenklang
unglücklichem Ausgang.
»Es heißt, dass bei Vollmond die Bewohner des Dorfes das Jammern der geopferten Herke vernehmen, darüber schaudern und sich bekreuzigen. Die unglücklich Verliebten aber hören die tröstliche Stimme der Beschützerin Herke, die über ihre bedrängte Liebe wacht.« Nach meinen letzten Worten spüre ich Felicitas näher an mich heranrücken. Ich folge einem Impuls, ziehe sie an mich und lege meine Arme um sie.
»Mir ist kalt«, sagt sie und nach einer Weile:
»Götter, Engel, Weltreligionen und die Kulturen habe er vereinen wollen in diesem Spiel. Großartig solle es werden. Ich, Uriel, solle endlich die Anerkennung erfahren, die mir gebührte, als Vermittlerin des Wissens. Ich hätte ihm gestern Nacht nicht sagen sollen, dass ich mich trennen will. Es ging etwas Beängstigendes von ihm aus. Ja, und kündigen werde ich. Den Brandt ertrage ich im Moment nicht. Der ist auch mehr von anderer statt von dieser Welt. Zu dumm.« Ihre Nerven. Jetzt werden sie versagen nach alledem, was sie erlebt hat.
»Ich war zu dumm«, bekräftigt sie ihre Selbstanklage. »Ich hätte es wissen können.«
»Nein«, halte ich dagegen, »Psychopathen kann man nicht berechnen.«
Ein Zettelchen weht aus ihrem Ärmel und bleibt zwischen meinen Zehen hängen. Ich hebe es auf.
»Mein Text, aus dem Internet, den ich genau so vortragen sollte auf ein Zeichen hin, und ich habe ihn nicht mal gelesen. Ich brauche ihn nicht, es habe sich etwas geändert, hat er gesagt.«
Auf dem Zettel steht, dass Gott Uriel zu Esra schickte, um den über die Grenzen der menschlichen Erkenntnis aufzuklären: ›So wie die Erde dem Wald gegeben ist und das Meer seinen Wellen, so können die Bewohner der Erde nur das, was auf Erden ist, verstehen; und nur die Bewohner des Himmels können verstehen, was im Himmel ist.‹
Am Fuße des Druidensteins herrscht Tumult. Feuerwehrleute, Polizisten und Statisten reden durcheinander. Ein Krankenwagen kommt aus dem Tal.
Was für eine Woche! Wieder war kein Tag zum Töten heute, erinnere ich mich der Worte des Alten am Landeskroner Weiher. Dass sich alle Tage dazu nicht eignen, sollte publik gemacht werden.
Franky wird sich in seinem Zustand kaum verantworten müssen für den Tod Richys, wobei ich hoffe, dass er meine Hose mit dem Schlüsselbein und der Zahnreihe des Artisten nicht verbrannt hat. Was aus Hanfs Haut geworden ist, würde mich auch interessieren. Gerbprozesse sind von längerer Dauer. Möglich, dass die Haut immer noch im Eimer weicht. Abi, Lars Sommer, hingegen hat sich selbst gerichtet und der Verantwortung entzogen.
Und irgendwie ist das alles im Moment nicht wichtig. Nicht die drängenden Fragen des Menschlichen im Allgemeinen oder des Allzumenschlichen im Persönlichen, nicht die Motive des geisteskranken Rollenspielers, nicht der Trubel unter uns, nicht die Toten und nicht das eigene finanzielle Überleben.
Felicitas schlingt ihre Arme um meine Knie und legt den Kopf an meine Schulter.
Kalle und der Advokat ziehen sich diskret zurück und überlassen mich diesem einen Gefühl. Zwei zueinander passende Teile der Matroschka scheinen sich hier und jetzt zusammenzufügen.
E N D E
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