Totenkünstler (German Edition)
dritten Skulptur und dem dritten Schattenbild – haben wir jede nur erdenkliche Kombination ausprobiert. Carlos und ich haben sogar versucht, die Bilder nicht einzeln, sondern als Teile eines übergeordneten Ganzen zu betrachten.«
Garcia nickte. »Wir dachten, dass die Bilder vielleicht zusammen ein anderes, größeres Bild ergeben. Die Sache kam uns ja von Anfang an wie ein Puzzlespiel vor, also wollte der Täter vielleicht, dass wir genau das machen: alle Teile, die er uns gegeben hat, an den richtigen Platz legen, damit ein Bild daraus wird.«
Captain Blake hob interessiert eine Braue.
»Ein Reinfall, Captain.« Garcia erstickte ihre aufkeimende Hoffnung mit einem Kopfschütteln. »Egal wie wir die einzelnen Bestandteile miteinander kombiniert haben, es ist nichts dabei rausgekommen. Jede Skulptur wirft ein eigenständiges, in sich vollständiges Schattenbild. Sie gehören nicht zusammen.«
Hunter nickte wie zur Bestätigung. »Genau. Wir sind zu dem Schluss gelangt, dass die Bilder voneinander unabhängig und nicht Teile eines größeren Bildes sind.«
»Okay«, sagte Blake. »Dann haben Sie sich also wieder darauf konzentriert, die Bedeutung der einzelnen Bilder zu ermitteln.«
»Ja«, sagte Hunter. »Aber nachdem wir gestern erfahren haben, dass das zweite und das dritte Opfer, Andrew Dupek und Nathan Littlewood, sich kannten – möglicherweise schon seit ihrer Jugend –, habe ich angefangen, neue Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.«
»Und zwar?«, fragte Captain Blake.
»Carlos hat gestern Abend was zu mir gesagt. Es hat erst heute Nacht im Schlaf bei mir richtig klick gemacht, dabei hätte ich eigentlich schon viel früher darauf kommen müssen.«
»Was habe ich denn gesagt?«
»Dass du Puppentheater nie leiden konntest. Und du hast mir von eurem Klassenlehrer aus der Fünften erzählt.«
Captain Blakes Blick wurde drohend.
Garcia hob die Schultern, als wäre es keine große Sache. »Ich hatte früher Angst vor Puppen. Habe ich eigentlich immer noch.«
»Was ist mit deinem Klassenlehrer aus der Fünften?«, fragte Alice neugierig.
»Er hat ein Theaterprojekt ins Leben gerufen, und wir mussten jeden Monat ein Puppentheater aufführen.« Garcia kratzte sich nervös die linke Wange. »Mann, hab ich die Stunden gehasst. Und den Lehrer erst. Ich habe das ganze Schuljahr gehasst.«
»Und genau das ist der Punkt, den ich bis dahin überhaupt noch nicht in Betracht gezogen hatte«, sagte Hunter.
»Von welchem Punkt reden Sie, Robert?«, fragte Captain Blake. »Ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns versteht, was Sie meinen.«
»Ein Theater, Captain. Ein Puppentheater.« Hunter stellte sich neben die Nachbildung der Skulptur aus Derek Nicholsons Schlafzimmer. »Im Theater werden Puppen nur zu einem Zweck benutzt.«
Die Verwirrung in den Mienen der anderen wurde nicht merklich geringer.
»Um ein Stück aufzuführen?«, fragte Alice.
»Um eine Geschichte zu erzählen«, sagte Garcia eine Sekunde später.
Hunter lächelte triumphierend. »Genau.«
98
Captain Blake warf einen flüchtigen Blick zu Garcia und Alice; auch sie schienen Hunters Gedankengang noch nicht ganz nachvollzogen zu haben.
Hunter wartete nicht ab, dass ihn jemand um Aufklärung bat. »Ich glaube, wir waren die ganze Zeit auf dem richtigen Weg, wir sind nur in die falsche Richtung gegangen. Es gibt ein übergeordnetes Ganzes.« Er wies auf die Pinnwand. »Nur ist es kein Bild. Und die Schattenfiguren selber waren der entscheidende Hinweis darauf.« Hunter räusperte sich, bevor er weitersprach. »Ich glaube, dass der Täter ein Theaterstück inszeniert. Wie ein Puppenspieler. Er erzählt uns eine Geschichte, Szene für Szene.«
Verblüfftes Schweigen.
Zeitgleich wandten sich alle von Hunter ab und den Fotos an der Pinnwand zu. Alice biss auf ihrer Unterlippe herum. Hunter war schon aufgefallen, dass sie das immer tat, wenn sie hochkonzentriert war. Er sah seinen Kollegen an, wie sehr sie sich bemühten, ihm zu folgen.
»Ich zeige euch, was ich meine. Fangen wir mit dem ersten Bild an.« Er löschte das Licht, schaltete seine Taschenlampe ein und richtete den Strahl auf die Nachbildung der Skulptur aus Derek Nicholsons Schlafzimmer. An der Wand dahinter wurden die Schatten von Hund und Vogel sichtbar.
»Das erste Bild haben wir als einen Kojoten und einen Raben gedeutet. Ich bin mir sicher, dass Alice uns die korrekte Interpretation der zwei Tiere geliefert hat – sie symbolisieren einen Lügner, jemanden, der
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