Totenkünstler (German Edition)
besser.« Garcia begann die Ecken seiner Papierserviette nach innen zu falten. »Und sie versteht nicht, wieso du keine Beziehung hast.«
Hunter kratzte sich unter dem rechten Ohr. Er fühlte dort eine kleine, schmerzende Beule unter der Haut. Ein Stresspickel. Besser, er ließ ihn in Ruhe. »Ja, ich weiß. Sie versucht ständig, mich mit irgendwelchen Freundinnen zu verkuppeln.«
Garcia lachte. »Und du drückst dich immer darum. Aber ganz ehrlich, vielleicht hat sie ja nicht ganz unrecht.«
Hunter sah seinen Partner mit unergründlicher Miene an.
Garcia hielt dem Blick stand. »Sie mag dich wirklich sehr gern. Alice, meine ich.«
»Was?« Hunter hatte keine Ahnung, woher Garcia diese Idee hatte.
»Du weißt doch, dass sie dich mag, oder?«
Hunter musterte Garcia einen Augenblick lang. »Und woher weißt du das?«
»Weil ich Augen im Kopf habe. Um das zu merken, muss man kein Detective sein. Tu doch nicht so, als wärst du blind, Robert.«
Ohne etwas zu sagen, griff Hunter nach seinem Glas.
»Im Ernst, sie mag dich. So wie sie dich ansieht, wenn du gerade nicht hinguckst. So wie sie dich ansieht, wenn du hinguckst. Das erinnert mich an früher, auf der Schule. Du weißt schon, wenn man auf jemanden stand, aber man hat sich nicht getraut, was zu sagen. Ich weiß das, weil ich selber schüchtern war. Ich habe Ewigkeiten gebraucht, um Anna anzusprechen.« Garcia wartete ab. »Vielleicht solltest du mit ihr mal was trinken gehen. Oder sie zum Abendessen einladen. Sie ist echt nett. Hübsch, intelligent, ehrgeizig … mir fällt kein Grund ein, weshalb ein alleinstehender Mann nicht mit ihr ausgehen sollte. Und ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber Anna hat recht, eine Beziehung würde dir wirklich guttun.«
»Danke, Dr. Love, ich bin zufrieden, so wie die Dinge sind.«
»Ich weiß, dass du zufrieden bist. Ich merke doch, wie die Frauen dich ansehen.« Jedes Mal, wenn die Barfrau an ihnen vorüberging, blieb ihr Blick einen Moment lang an Hunter hängen. Das war sowohl Hunter als auch Garcia aufgefallen. »Versteh mich nicht falsch, ich will hier nicht den Heiratsvermittler spielen. Dafür tauge ich nicht, und dein Privatleben geht mich ja auch gar nichts an. Ich sage nur, dass du Alice mal auf einen Drink einladen solltest. Um sie außerhalb des Büros kennenzulernen – das, wenn ich die Bemerkung hinzufügen darf, mit Fotos von Leichen dekoriert ist. Wer weiß? Vielleicht funkt es ja zwischen euch.«
Hunter ließ den Whisky in seinem Glas kreisen. »Soll ich dir was Komisches erzählen?«, fragte er. »Wir kennen uns von früher.«
»Wer? Du und Alice?«
Hunter nickte.
»Was? Echt?«
Wieder ein Nicken.
»Woher?«
Hunter erzählte es ihm.
»Na, wenn das kein Zufall ist. Dann war sie auch ein Wunderkind? Jetzt komme ich mir ganz schön dämlich vor.«
Lächelnd trank Hunter seinen Scotch aus. Auch Garcia leerte sein Glas.
»Ich will nicht über den Fall reden«, sagte Garcia, »weil ich gleich nach Hause fahre, aber soll ich dir mal was Komisches erzählen? Ich bin allergisch gegen Puppentheater, einschließlich Schattentheater. Schon seit meiner Kindheit.«
»Wirklich?«
»Ich weiß, das ist total albern, aber ich fand diese Puppen immer irgendwie unheimlich. Nichts hat mich so gegruselt wie Puppentheater. Und in der fünften Klasse hatten wir diesen Klassenlehrer, der uns gezwungen hat, jeden gottverdammten Monat ein Puppentheaterstück aufzuführen. Entweder ich musste die Puppen bedienen oder mit dem Rest der Klasse dasitzen und zuschauen.« Er lachte voller Unbehagen. »Wer weiß? Vielleicht ist der Mörder ja mein alter Lehrer, der mich in den Wahnsinn treiben will.«
Hunter erhob sich schmunzelnd. »Schön wär’s. Das würde uns die Sache bedeutend erleichtern.«
96
An diesem Abend war Hunter so erledigt, dass ihn keine Hyposomnie der Welt am Schlafen gehindert hätte. In seiner Wohnung nahm er erneut eine warme Dusche und schenkte sich noch ein Glas Single Malt ein. Gegen Kopfschmerzen und müde Muskeln half das besser als jede Medizin.
Er ging zum Sofa, ohne im Wohnzimmer das Licht einzuschalten. Er hatte keine Lust, die verblichene Tapete, den ausgetretenen Teppich und die schäbigen Möbel zu sehen.
Hunter konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er zum letzten Mal den Fernseher eingeschaltet hatte. Er sah nur sehr selten fern, aber jetzt brauchte er etwas, um sich abzulenken, egal wie trivial es war. Etwas, das wenigstens in dieser einen Nacht seine Gedanken davon
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