Totenkünstler (German Edition)
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»Detective Hunter«, meldete er sich.
»Detective, hier ist Tammy von der Hotline. Ich habe hier jemanden in der Leitung, der mit den Detectives vom Totenkünstler-Fall sprechen möchte.«
Hunter wusste, dass das Team von der Hotline angehalten war, alle unseriösen Anrufer abzuwimmeln. Jedes Mal, wenn sich die Nachricht eines neuen spektakulären Falls verbreitete, bekamen sie Dutzende Anrufe pro Tag – von Menschen, die auf eine Belohnung aus waren, von Betrunkenen, Junkies, Lügnern, Spinnern, Schwindlern, Leuten, die nach Aufmerksamkeit suchten, oder solchen, die der Polizei einfach nur auf die Nerven gehen wollten. Ging es um einen Serienmörder, stieg die Anzahl auf das Zehnfache, und es gingen tagtäglich Hunderte, manchmal sogar Tausende von Anrufen in der Zentrale ein. Dies war der erste Anruf seit Beginn der Ermittlungen, der von der Hotline zu ihnen durchgestellt wurde.
»Sie sagt, sie hat Informationen«, setzte Tammy hinzu.
»Was für Informationen?«, fragte Hunter und machte gleichzeitig Garcia ein Zeichen, noch nicht loszufahren.
Tammy räusperte sich. »Sie behauptet, alle drei Mordopfer gekannt zu haben.«
102
Das schmuddelige Café lag an der Ecke Ratliffe Street und Gridley Road in Norwalk im Südosten von Los Angeles. Alle Tische bis auf einen waren besetzt. An einem Platz mit Blick auf die Fensterfront saß eine Afroamerikanerin Anfang fünfzig. Auf ihrem Tisch stand eine Tasse Kaffee, die sie, halb ausgetrunken, beiseitegeschoben hatte. In den fünfzehn Minuten, die sie nun schon hier wartete, war sie bereits zweimal kurz davor gewesen, einfach aufzustehen und zu gehen. Sie wusste immer noch nicht, ob sie vielleicht aus einer Mücke einen Elefanten machte, aber der Zufall schien ihr zu groß, um einfach nur ein Zufall zu sein.
Sie hatte die beiden gesehen, lange bevor sie das Café betraten. Schon als sie draußen den Wagen parkten. Einen Cop konnte sie immer noch aus einer Meile Entfernung erkennen. Sie blickte auf, als sie zur Tür hereinkamen, und Hunter sah ein Gesicht, das vor langer Zeit einmal hübsch gewesen sein musste, nun aber eingefallen und abgekämpft wirkte. An ihrer linken Wange hatte die Frau eine lange dünne Narbe, die zu verbergen sie sich keinerlei Mühe gab. Ihre Blicke trafen sich flüchtig.
»Jude?«, fragte Hunter, als er an ihren Tisch trat. Er wusste, dass sie nicht wirklich so hieß, aber es war der Name, den sie ihm am Telefon genannt hatte.
Die Frau nickte und schaute ihnen forschend ins Gesicht.
»Ich bin Detective Hunter, und das ist Detective Garcia. Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?«
Sie erkannte Hunters Stimme von dem kurzen Telefonat wieder, das sie vor etwas weniger als einer halben Stunde geführt hatten. Ihre Antwort bestand aus einem kaum wahrnehmbaren Schulterzucken.
»Möchten Sie vielleicht noch einen Kaffee?«, bot Hunter ihr an.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss morgen früh raus und hab heute sowieso schon zu viel Kaffee getrunken.« Ihre Stimme war ein wenig rau, fast sinnlich, aber trotzdem fest. Sie trug ein weißes Oberteil mit Rundhalsausschnitt und einer aufgestickten roten Rose über der linken Brust. Ihr Parfüm hatte einen zarten Duft, jedoch mit einer würzigen Basisnote, etwas Herbes und Exotisches wie Nelken oder Sternanis.
»Was kann ich den Herren bringen?«, erkundigte sich die übergewichtige Kellnerin, die zu ihnen an den Tisch gekommen war.
»Sind Sie ganz sicher?«, fragte Hunter noch einmal und lächelte in Judes Richtung.
Jude nickte.
»Dann zwei Kaffee, schwarz, ohne Zucker«, bat Hunter die Kellnerin.
Diese nickte und begann am Nebentisch die Teller abzuräumen.
Eine Zeitlang saßen sie und schwiegen. Sobald die Kellnerin in der Küche verschwunden war, sah Jude über den Tisch zu Hunter und Garcia. »Okay, ich hab’s Ihnen ja schon am Telefon gesagt, ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber es geht mir jetzt schon seit zwei Tagen im Kopf rum. Ich glaube nicht an Zufälle, wissen Sie?«
Hunter legte seine gefalteten Hände auf den Tisch. Er wusste, dass es das Klügste war, sie einfach reden zu lassen und keine Fragen zu stellen.
»Vor zwei Tagen bin ich mit der U-Bahn zur Arbeit gefahren, wie immer«, begann sie. »Ich lese nicht gern Zeitung, schon gar nicht die LA Times . Da steht einfach zu viel Müll drin, und davon hab ich in meinem Leben schon so genug. Na ja, egal, jedenfalls saß mir diese Frau gegenüber, und die hatte eine Zeitung dabei. Beim Durchblättern hab ich zufällig die
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