Totenkünstler (German Edition)
Schlagzeile auf der Titelseite gesehen.« Sie schürzte die Lippen und schüttelte rasch den Kopf. »Zuerst hab ich mir nichts weiter dabei gedacht. Wieder mal ein Mörder, der L. A. unsicher macht – na und? Aber dann hab ich eins der Fotos gesehen und bin stutzig geworden.«
Die Kellnerin kam mit zwei Tassen schwarzem Kaffee an ihren Tisch zurück.
»Welches Foto?«, fragte Garcia, als die Kellnerin außer Hörweite war.
»Von einem der Opfer.« Jude beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Der Typ namens Andrew Dupek.«
Garcia nickte gemessen. »Was war mit dem Foto? Wieso sind Sie darauf aufmerksam geworden?«
»Eigentlich war es mehr der Name. Ich hab den Namen wiedererkannt.« Jude bemerkte den leisen Zweifel in Garcias Miene. »In der Schule hatte ich mal was mit einem Jungen namens Fabian Nowak«, erklärte sie. »Seine Familie kam aus Polen.« Ein wehmütiges Lächeln flog über ihr Gesicht. Ihre Zähne waren fleckig und kariös. »Der war echt ein netter Kerl. Und Sie wissen ja, wie man in dem Alter ist, oder? Unheimlich neugierig. Ich hab ihn die ganze Zeit gelöchert, er soll mir beibringen, wie man verschiedene Sachen auf Polnisch sagt.« Sie neigte den Kopf ein wenig nach links und sagte ganz nüchtern: »Hauptsächlich Schimpfwörter. An die meisten kann ich mich immer noch erinnern.«
Garcias Verwirrung wuchs, auch wenn er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
»Dupek heißt ›Arschloch‹ auf Polnisch.«
»Im Ernst?« Garcia warf Hunter einen Blick zu.
»Ich wusste das auch nicht.«
»Das stimmt wirklich«, bekräftigte Jude. »Und deswegen hab ich mir das Foto näher angeschaut. Er sah natürlich älter aus. Seine Haare waren grau, aber das Gesicht hätte ich überall wiedererkannt. Es war derselbe Typ. Danach hab ich mir auch die Fotos von den anderen zwei Ermordeten angesehen, und dann ist mir alles wieder eingefallen. Sie sahen anders aus als damals, älter, aber je länger ich hingesehen hab, desto sicherer war ich mir. Ich hab sie alle drei gekannt.«
Hunter hatte seinen Kaffee noch nicht angerührt. Er beobachtete aufmerksam Judes Mimik und Körpersprache. Kein Zucken, keine plötzlichen Pupillenbewegungen, kein nervöses Fummeln. Falls sie log, log sie sehr gut.
»Obwohl, gekannt ist vielleicht zu viel gesagt«, setzte Jude hinzu. »Ich wurde von ihnen zusammengeschlagen.«
103
Die Worte trafen Hunter und Garcia mit der Wucht einer Steinlawine. Ihnen blieb beinahe die Luft weg.
Garcia musste sich schütteln, um den Ausdruck der Fassungslosigkeit loszuwerden, zu dem sein Gesicht erstarrt war. »Sie wurden von ihnen zusammengeschlagen?«
Zum ersten Mal unterbrach Jude den Blickkontakt zu den Detectives. Sie starrte in ihre halbvolle Kaffeetasse. »Ich bin nicht stolz auf mein Leben, aber ich schäme mich auch nicht dafür. Jeder hat irgendwann mal Dinge gemacht, die er im Nachhinein lieber nicht gemacht hätte.« Sie hielt kurz inne, um sich zu sammeln. Hunter und Garcia ließen ihr die Zeit, die sie brauchte. »Als ich noch viel jünger war, bin ich unten am Hollywood Boulevard, am hinteren Ende des Strip, auf den Strich gegangen.«
Das östliche Ende des berühmten Hollywood Boulevard galt einst als der bekannteste Rotlichtbezirk von Los Angeles.
»Ich war neu in der Gegend. Eigentlich war mein Stammplatz drüben in Venice Beach, aber damals war auf dem Strip mehr los. Wenn man die Kondition hatte, konnte man richtig gut Kasse machen.« Es lag keinerlei Scham in ihren Worten. Sie konnte ihre Vergangenheit nicht ändern, und sie trug sie mit großer Würde. »Wie auch immer, jedenfalls bin ich eines Abends zu diesem Typen ins Auto gestiegen. Es war schon ziemlich spät, nach Mitternacht, glaub ich. Er sah ganz gut aus, und er war irgendwie witzig. Er ist mit mir zu einer Wohnung in Griffith Park gefahren, aber was er mir vorher nicht gesagt hatte, war, dass da noch drei andere Kerle auf mich warteten.«
Judes Blick ging an den beiden Detectives vorbei in die Ferne, als versuche sie, die Zukunft zu sehen.
»Ich hab ihnen gleich gesagt, dass ich keinen Gruppensex mache, nicht für alles Geld der Welt.« Sie verstummte und griff nach ihrem kalten Kaffee.
»Aber das hat sie nicht gekümmert«, sagte Hunter.
»Nein, hat’s nicht«, sagte sie, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte. »Sie waren alle auf irgendwelchen Drogen und haben die ganze Zeit Alkohol getrunken. Aber das Schlimme war nicht, mit vier besoffenen Männern Sex zu haben. Das
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