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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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das Muskelsystem der getroffenen Jagdbeute, gelangt aber nicht in deren Blutbahn, sodass das Fleisch des erlegten Tieres unbedenklich verzehrt werden kann.
    Die Pfeilspitze wird vor dem Schuss durch das Curare gezogen. Ein kleiner Einschnitt sorgt dafür, dass der Schaft abbricht, die Spitze in der Beute stecken bleibt und das Gift seine tödliche Wirkung entfalten kann. In Mortins Entdeckerfreude mischt sich Erregung.
    Er greift nach einem Pfeil, zieht ihn heraus und hält ihn in den Schein des Feuers. Der Pfeil hat keine Spitze mehr. Der Schaft ist bereits abgebrochen. Der Todesbote hat sein Opfer also schon gefunden. Warum dann hat der Indianer den wertlosen Pfeil nach der Jagd mitgenommen? Mortin fallen drei Schnitte am Ende des Schaftes auf, und als er die beiden im Köcher verbliebenen Pfeile untersucht, findet er die gleiche Markierung. Das Zeichen, das den Eigentümer verrät. Der Wilde wollte den Pfeil nicht dort zurücklassen, wo er sein Opfer getroffen hat.
    Mortin hebt den Kopf und sieht, dass der Indianer ihn beobachtet. Schweiß glänzt auf seinen hohen Wangenknochen und perlt auf der breiten Oberlippe. Der Mann scheint auf eine Reaktion zu warten. Hinter ihm steigen Rauchwirbel aus dem Kessel empor und winden sich wie weiße Schlangen um seine dunkle Gestalt. Das Feuer wirft rote Lichter auf die Wände, in den Ecken der Hütte lauern Schatten.
    Auf einmal versteht Mortin, wie hoch der wahre Preis für das bestellte Ritual und seine Trophäe ist. Für einen Augenblick spielt er mit dem Gedanken, unter Protest diese primitive Hütte zu verlassen. Doch etwas in der Miene des Indianers lässt ihn zögern. Will er ihn töten? So wie den Mann, dessen Kopf er ihm verkauft hat? Und der, das begreift Mortin jetzt, kein im fairen Kampf gefallener Krieger war. Diese Wilden haben kein Gewissen. Einen Menschen zu töten, um seinen mumifizierten Kopf zu verkaufen. Der Wasserdampf würgt Mortin.
    Nur noch ein paar Handgriffe, und die Tsantsa ist fertig. Und er, Thibeault de Mortin, wird der erste Europäer sein, der die Herstellung mit eigenen Augen gesehen hat. Und darüber berichten kann. Ist es nicht geradezu seine Pflicht der Forschung gegenüber, sich über moralische Bedenken hinwegzusetzen? Unschlüssig dreht er den Pfeilschaft in den Händen. Er kann seinen wissenschaftlichen Ruhm nicht wegen Rührseligkeiten aufs Spiel setzen. Das macht den Ermordeten auch nicht wieder lebendig. Mortin schiebt den Pfeil, die abgebrochene Spitze voran, in den Köcher zurück.
    Der Indianer hebt das Kinn. Er verzieht die Mundwinkel. In seinen Augen meint Mortin Spott und Verachtung zu lesen.
    Mit einer lässigen Geste wirft Mortin den Köcher auf das stinkende Lamafell und geht zum Feuer hinüber. Er stellt sich neben den Indianer, schiebt die Hände wieder in die Hosentaschen und heftet seinen Blick auf die quirlige Wasseroberfläche, auf der der schwarze Haarschopf in einem wilden Tanz herumwirbelt.
    Am Ende der Prozedur werden den Tsantsas die Lippen vernäht und mit Stiften verschlossen, um zu verhindern, dass die Rachegeister des Toten austreten. Aber Thibeault de Mortin teilt diesen Aberglauben nicht.
    »Eh bien«, sagt er. »Ich hoffe, du verschließt unserem Freund hier den Mund besonders gut.«

EINS
    Von Süden wehte ein heißer Föhnwind, trieb Wellen und Schaumkronen über den Wolfgangsee und zerzauste die Blätter der alten Weiden, die sich wie Trauernde über das Wasser beugten. Es war der Wind, der Marie Aschenbach Kopfschmerzen verursachte, der ihr die Augen und die Haut reizte und die Gedanken verwirrte. An solchen Föhntagen begannen Familienfehden, standen Trennungen im Raum, und manchmal nahm noch Schlimmeres seinen Anfang.
    »Na, was sagst du jetzt?« Marie kniff die Augen zusammen und zeigte auf das Bauernhaus, das in seiner frisch renovierten Pracht vor Roland und ihr erstrahlte. »Du hast ja keine Vorstellung, wie viel Arbeit der Umbau war.« Sie seufzte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Sei froh, dass du so eine fleißige Ehefrau hast.«
    Roland schob die Hände in die Taschen seines blauen Seidenanzugs. »Dafür danke ich Gott täglich«, knurrte er. Der Wind spielte in seinem von grauen Fäden durchzogenen schwarzen Haar und hüllte Marie in eine Wolke Armani.
    »Davon bin ich überzeugt«, sagte Marie. Mittlerweile war sie gegen Rolands Sarkasmus immun. »Und? Wie findest du die Farben?«
    Das Erdgeschoss des Bauernhauses leuchtete in strahlend weißem Putz, den Rest der Fassade

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