Totenkult
Augen starrte er über die Bucht nach Fürberg hinüber. Marie strich sich eine blonde Strähne hinters Ohr und wartete, ob er etwas über das mysteriöse Telefonat erzählen würde. Aber Roland zeigte auf das Schlösschen, das sich so malerisch zwischen den Bäumen an den Hang am gegenüberliegenden Seeufer schmiegte.
»Was ist denn das?«, fragte er.
»Wie bitte?«
»Ich habe dich gefragt, was das ist.« Er klang ungehalten, als hätte sie das alte Gemäuer dort persönlich gebaut, um ihm die Sicht auf den Schafberg zu verstellen.
»Ein Schloss«, sagte sie und hörte selbst, wie dämlich sie klang. »Die Maklerin hat gemeint, es gehört einem Ausländer.« Hatte die Frau wirklich gesagt, es sei ein Museum? Marie war sich nicht mehr sicher. Sie zog die Schultern hoch und umfasste ihre Oberarme. Ihre Handflächen blieben an dem roten Polohemd kleben.
»Einem Ausländer?« Roland sah sie an. »Geht’s ein wenig genauer?«
»Ja …« Sie versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Roland hasste Ungenauigkeit, sie verschwendete seine Zeit. »Das Schloss gehört … äh, einem Franzosen. Den Namen weiß ich nicht mehr.« Sie ließ die Schultern sinken und lächelte. »Schöne Aussicht, nicht?«
Roland starrte auf die von der Julisonne beschienene Fassade des Schlosses, die helle Reflexe auf die dunklen Wasser des Wolfgangsees warf. Ein Teppich goldener Münzen schien dort drüben auf dem Wasser zu schwimmen.
»Und hat deine Maklerin auch gesagt, ob dieser Franzose da lebt? Oder ob das nur ein Zweitwohnsitz ist?« Er zog die Brauen zusammen. »Sieht ein wenig marode aus, oder? Das hätten wir kaufen sollen.«
»Ach, wirklich.« Vor ein paar Minuten hatte er sich über die Kosten für das Seehaus beschwert. »Und womit hätten wir ein Schloss bezahlt?« Wieder war dieses kindliche Kichern zu hören. Marie warf einen schnellen Blick aufs Wasser, aber die Nixe war natürlich verschwunden. »Außerdem scheint das ein Landschaftsschutzgebiet zu sein«, setzte sie hinzu. »Da leben sicher jede Menge Haubentaucher und Rohrdommeln oder so Zeugs. Du kennst doch diese Naturschützer.« Die Naturschutzbehörde konnte einen Umbau verhindern. Oft genug hatte Roland sich darüber beschwert. »Wer weiß, ob dieser Franzose überhaupt verkauft.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Also, wenn ich so was hätte, würde ich es nicht hergeben. Um keinen Preis der Welt.«
»Alles hat seinen Preis«, sagte Roland ungerührt. »Das solltest doch gerade du wissen.«
Marie biss die Zähne zusammen. Aber ein ehernes Gesetz ihrer bald zehnjährigen Ehe war, dass sie sich nicht in seine Geschäfte einmischte. Er brachte das Geld nach Hause, und sie konnte es ausgeben, wie sie wollte. Sie legte die Hand auf seinen Arm und drückte ihn ein wenig. »Ach, Schatz … du weißt doch, ich habe keine Ahnung vom Big Business.«
Roland zuckte mit den Schultern. »Meine Kunden auch nicht. Außerdem verkaufe ich sowieso nur Finanzprodukte, die die Leute nicht verstehen.« Er sah auf sie herab. Seine Miene war unergründlich. »Weißt du, dass du langsam zur Paranoia neigst?«
Ein Windstoß fuhr in das Uferschilf. Die scharfen Blätter schwankten wie Speerspitzen. Marie spürte ein Kribbeln im Nacken. »Keine Ahnung, wovon du redest.«
»Meinst du, ich merke nicht, dass du mir nachspionierst und mein Handy filzt?«
»Das stimmt nicht.« Marie schaute auf den See hinaus. In letzter Zeit trug Roland Restaurantquittungen und Hotelrechnungen sowieso in seinen Anzugtaschen herum. Sie fielen ihr einfach in die Hände.
Roland beugte sich vor und starrte ihr ins Gesicht. »Deine Kontrollsucht geht mir auf den Geist.« Er richtete sich wieder auf. »Also, vergiss den alten Kasten da drüben und lass uns lieber eine Einstandsparty organisieren.«
Das Schloss interessierte ihn nicht. Roland hatte sie nur ärgern wollen. »Du meinst wohl – ich, oder?«
»Wer sonst? Ich hab auch nur zwei Hände.« Wie zum Beweis streckte er seine Hände mit den kurz gefeilten Nägeln aus und drehte sie hin und her. »Morgen bin ich in Rom, und dann baue ich eine Wahnsinns-Ferienanlage auf Sardinien. Außerdem gibt’s bei der Arlberg Lodge noch genug zu tun.« Er sah sie spöttisch an. »Also, zerbrich dir dein Spatzenhirn lieber über die Party.«
Die »Arlberg Mountain Lodge« war Rolands aktuelles Prestigeobjekt. Ein Luxus-Ski-Resort. Chalets rund um ein Fünf-Sterne-Plus-Hotel in einer der besten Lagen Österreichs. Marie hatte gedacht, dass die Anteilscheine
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