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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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die
Inflation. Und wieder verrecken die Ärmsten der Armen. Wundert’s dich, dass die
zu uns kommen, Mensch? Millionen von Wirtschaftsflüchtlingen aller Farben und
Nationen werden dieses Land überschwemmen, wenn sie nicht vorher im Meer
ersaufen, und wir zahlen ihren Untergang mit unsern Steuergeldern, ne wohr. Da
ziehts dir doch die Socken aus!«
    Rosa hielt sich auf Fluchtdistanz und schwieg. In ein paar
Tagen wurde sie 83, damit war sie fast so alt wie Marthel. Immer noch wohnte
sie allein in einem Hexenhaus im Staighäusle drunten, am schattigen Waldrand,
mit dem buckligen Transformatorenhäuschen, das allein schon ein Dutzendmal
enteignet worden war, vom Rest des Grund und Bodens ganz zu schwiegen. Sie ließ
nicht nach und blieb dort drunten hocken, mutterseelenallein, am Rand vom
Bannwald, die kranken Tannenwipfel im Genick. Nach Mariabronn waren es fünf
Kilometer. Obwohl Rosa radikalökologische Einsichten hegte und den Drahtesel
rein theoretisch verehrte wie der Inder die Kuh, war sie mit dem Auto gekommen,
einem uralten seichgelben BMW, wie ihn seinerzeit Andreas Baader bevorzugt
hatte. Seit sie in den fünfziger Jahren als einzige Frau im Dorf den
Führerschein gemacht hatte, um sich an den Faschisten zu rächen, ging Rosa
keinen Schritt mehr zu Fuß.
    »Steuerboykott!«, schrie der rote Karle, »ist die
zeitgemäße Form des Generalstreiks. Das ist alles, was hilft. Zehn Millionen zahlen
keinen Dreck Steuern …«
    Rosa schluckte. »Kurras.«
    »Was?«
    »Der 1967 Benno Ohnesorg erschossen hat.«
    »Was, Kurras?«
    »Stasi. Karl-Heinz Kurras alias Otto Bohl war ein Spion der
Staatssicherheit. Wetten? Warte du nur. Mal sehen, was noch alles rauskommt. Dutschke,
Buback, Herrhausen. Die Meinhof. Vielleicht auch Baader, Ensslin, Raspe. Was
weiß ich. Die Stasi hat, wenn du mich fragst, die ganze Bonner Republik
unterwandert. Die DDR hat im Westen alles eliminiert, was ihr nicht gepasst
hat. Hat hüben nur keine Sau interessiert. Und es geht immer so weiter.«
    »Was?«
    »Ossi Oswald, Winterhalter. Alles Stasi.«
    Der rote Karle schnappte nach Luft. Jetzt hatte seine
Schwester endgültig den Verstand verloren. Fragte sich, wer da für
Verschwörungstheorien zuständig war.
    »War ja von jeher so. Der Osten zog. Und die BRD mischte mit.
12.000 Bundesbürger waren IM, bis hoch zum Bundestag. Das musst du dir mal
vorstellen. Da waren die DKPler doch Waisenknaben dagegen. Und ich habe mich
manchmal gefragt, ob nicht mein eigener Bruder … Da hab ich mich lieber
rausgehalten. Meinetwegen bleib bei deinem altbackenen Geschwätz. Diktatur des
Proletariats! Generalstreik! Mach du nur weiter mit deiner Stasi. Peng! Aber
wenn du glaubst, dass ich politisch nicht auf der Höhe bin, hast du dich
geschnitten.« Sie griff sich an die gewaltige Brust, auf der blinde Spiegel
glitzerten, und starrte ihn mondbleich an. »Ich habe es auf dem Herz. Ich
merke, dass es mit mir zu Ende geht, Karle. Ich muss sterben.«
    »Das hast du schon vor 25 Jahren gesagt.« Der rote Karle biss
das Ende der Zigarre ab und spuckte es in den Garten. »Und schon damals ist
nichts draus geworden. Ne wohr, und seitdem sind wir uns nicht mehr über den
Weg gelaufen. Ideologische Differenzen. Du hast den Nebenwiderspruch zum Hauptwiderspruch
erklärt. Alternative Lebensformen, Körnerfraß, Antiatomkraft, Feminismus. Den
ganzen Scheiß mit der grünen Politik. Nachhaltiges Sterben! Komm, gang mer weg.
Wenn du über das Familiengrab diskutieren willst, dafür ist Marthel zuständig.«
    »Ich habe jetzt schon zweimal die zwölf Jahre Pacht gezahlt«,
sagte Rosa mit ihrer leicht leiernden, volltönenden Stimme, in der etwas
klirrte wie Glas. Ein Lebtag lang hatte sie mit Gewalt gegen ihre innere
Zerbrechlichkeit angekämpft, und so trug sie in der Seele einen Scherbenhaufen.
»Weißt du eigentlich, was das kostet? Dann die ganzen Stiefmütterchen,
Kapkörbchen, Goldtaler, Hängelobelien, Edellieschen. Die Koniferen, mir tut das
Kreuz weh. Und immer noch ist keiner mehr gestorben. Kein Mensch mehr aus so einer
großen Verwandtschaft. Die Eltern selig ruhen ungestört auf den Ahnen. Jetzt
spür ich aber, dass die Zeit naht, und alles hat seine Zeit, Karle. Auch das
Bezahlen. 5.000 Euro für das Grab deiner Schwester.«
    »Nur über meine Leiche.« Karle rotzte ins Gras.
    »Es soll zu deinem Schaden nicht sein, wenn der Liebe
Herrgott dich zu sich ruft.«
    »Du bist über drei Jahre jünger als ich

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