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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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›Schwarzwälder Merkur‹,
einem dem Verderben anheim gegebenen Käsblatt. Das kleinformatige Heft stammte
aus der Heimat des Konterrevolutionärs Heidegger: Seitdem die Schramberger
Lokalredaktion eingegangen war und die Konkurrenzpostillen Landflucht
betrieben, bellte einem die Tagespolitik vom Merkur-Imperium am Bodensee
entgegen. Es war noch nie nichts Gutes, was aus Meßkirch herüberpredigte, und
nun hatte der ›Merkur‹ in der Diaspora das Monopol. [2] Wie konnten die oberschwäbischen Gelbfüßler etwas begreifen vom
schwarzwälderischen Schwabeneck? Diese Simpel hockten im Badischen, Mariabronn
folgte mit Nestern wie Lackendorf, Locherhof und Herrenzimmern als abtrünniger
Zipfel gegen jede Logik dem württembergischen König! Da lief doch etwas
grundverkehrt. Sein und Zeit konnte man vergessen. Bloß – eine
Zeitung musste schließlich ins Haus. Nur so erfuhr man: die Kultur wurde auf
der Schwäbischen Alb erfunden.
    Karle, einstmals Mechanikermeister mit eigener Werkstatt,
war an der Menschheitsgeschichte interessiert. Und am revolutionären Umsturz.
Er kratzte sich unter der Kappe. Mit 86 konnte man keine Kompromisse mehr
machen. Um nichts in der Welt hätte Karle den ›Stuttgarter Volksfeind‹ gelesen,
das Großkopfeten-Manifest von Schwiegersohn Stefan alias Stulle. Karle hatte
nichts dagegen, einen Studierten in der Familie zu haben, man war schließlich
tolerant, aber als Chefredakteur einer scheißliberalen Tageszeitung gehörte
Stefan eindeutig der Reaktion an, und dass er kurzsichtig war wie ein Otter,
war kein Zufall. Karle langte nach dem Schnupftabak. Er besann sich. Ein
Steuerboykott musste her. Zehn Millionen Verweigerer. Das war das probate
Mittel des Generalstreiks aus dem Internet. Das Automobil war ein Antagonismus.
Wenn keine Sau mehr die Kreisel zahlte, die sich wie Grippeviren verbreiteten,
blieb die Landschaft weiterhin gesund. Und überhaupt. Die Banken waren
bankrott, die Industrie zum Untergang verurteilt. Das Potenzial für den Umsturz
war da. Man sah es an den Aktivitäten in der Stadt. Das Gestapo-Ministerium mit
Mullbinden umwickelt. Stiefmütterchenrabatten am Stammheimer
Hochunsicherheitstrakt. Buschwindröschen und Vergissmeinnicht.
Neospontaneisten, dass ich nicht lache. Alles Versager. Weltverbesserer,
Gammler und Hippies! Die Ewigbärtigen tarnten sich hinter ihrem einfallslosen
Kirchentagshumor. Seichdackel, liberale, elende geistige Selbstmordattentäter!
Man konnte auch andere Strategien entwickeln. Das Internet als revolutionäres
Organ nutzen mit wirksamen Methoden zur Mobilisierung der Massen. Die Diktatur
des Prekariats. Alles, was man brauchte, war ein DSL-Anschluss. Karle, der dem
Drahtlosnetz misstraute und nicht weiterwusste, nickte ratlos. Wohlwollend
wandte er sich an die übernächste Generation: »Die Hunde bellen, aber die
Karawane zieht weiter.«
    »Was hast du gesagt?«, fragte Marthel, die das Portemonnaie
ins Einkaufswägele steckte. Passend zum Flieder hatte sie sich eine neue
Five-Pocket-Jeans gekauft, in der Modefarbe Violett. Dazu trug sie ein
guerillagrünes Che-Guevara-T-Shirt und altmodische Vans mit Totenkopfmuster.
Sie war geschminkt wie für den Jahrestag der Weltrevolution: schwarze
Augenbrauen, bleiches Näschen, tomatenrote Lippen. Ihre weiße, mit dunklen Strähnchen
durchsetzte Igelfrisur hatte sie mit Gel gestylt. Nur der eitrige Grützbeutel
am oberen Rand der Ohrmuschel störte. Seit Wochen war er dick geschwollen,
zündend rot und kugelrund wie eine Erbse. Mit den Händen in der Hüfte baute sie
sich vor Karle auf und sah ihm in die Augen, die dunkelbraun waren. »Jetzt, wo
wir das Sach hinter uns haben, brauchst du das Schlägle nicht mehr. Also kannst
ruhig wieder mit mir schwätzen.«
    Der rote Karle zog den Schnupftabak hoch und kratzte sich.
Dann tat er die Dose zurück ins Eck, legte die Hände auf die Oberschenkel und
beugte sich vor. Mit offenem Mund stierte er auf den Tisch. Am Nasenloch hing
ein Tropfen. Karle nieste und rotzte in sein Sacktuch. Kein Wunder, dass
Marthel grätig war. Dieses Frühjahr hatte es in sich. Hinter ihnen lagen einige
Turbulenzen. Zwei Morde mitten im April. Beide Opfer vormals DKP, beide
Genossen mausetot. Erst ein ehemaliger Spitzel. Ossi Oswald war gerichtet
worden, Genickschuss, blöderweise mit einer von Karles Knarren: Gefunden wurde
er in Stuttgart, abgelegt vor dem Terroristengrab auf dem Dornhaldenfriedhof.
Peng! Gleich

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