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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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ich.«
    »Das kommt von deiner gottverdammten, viehmäßigen
Lesesucht.« Karle spechtete über die Schulter und drehte sich um. »Reaktionäres
bourgeoises Zeugs! Das ist vollends ungesund! Ideologische Notdurft führt zu
geistigem Dünnschiss.« Er haute sich auf die Schenkel und lachte polternd.
    Mitten im Garten stand Rosa, Karles einzige Schwester.
Leopold hatte sich bei der Kindstaufe durchgesetzt und dem Nachwuchs die Namen
der KPD-Gründer verpasst. Er war selber niemals Mitglied gewesen. Doch im
Januar 1919 hatte er eigenmächtig auf dem Cannstatter Wasen die Revolution
ausgerufen, vor einem Jesespublikum, woraufhin Qualberta gekommen war und ihn
heimgeschleift hatte. Sie schämte sich entsetzlich und litt fortan unter einem
posttraumatischen Verbitterungssyndrom, das sie munter weitervererbte. Der
Spartakus-Aufstand wurde niedergeschlagen, Luxemburg und Liebknecht von
Freikorpssoldaten ermordet. Leopold träumte weiter, und auf Karle, der mit den
Füßen zuerst auf die Welt kam und bei der Geburt aufrecht stand, folgte Rosa.
Sie hatte sich gar nicht verändert. Noch immer war sie grobknochig, dick und
bleich wie der Mond. Ihr verwaschenes hennarotes Haar, das am Ansatz schlohweiß
war, ging ihr bis auf die Schultern. Zu einem putzlappenfarbenen indischen
Kleid, das einmal bordeauxrot gewesen war, trug sie abgelatschte
eierschalenfarbene Holzclogs. Um den Hals hatte sie einen angelaufenen
silbernen Rosenkranz mit einem kaum verhüllten Miniaturgekreuzigten, über der
linken Brust einen Anstecker: Eine lila Blechhexe, die auf einem Besen ritt,
verkündete AUF DIE DAUER HILFT NUR POWER. Rosa war ästhetisch im Deutschen
Herbst steckengeblieben. Karle entsann sich, wieso er sich sechs Jahre später,
im Heißen Herbst 1983, als sie beide Hand in Hand bei Mutlangen in der
Friedenskette standen, so viehmäßig mit Rosa verkracht hatte. Noch immer konnte
sie sich keinen Reim darauf machen, was in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober
in Stuttgart-Stammheim geschehen war. Sie war wenigstens auf der Beerdigung
gewesen, auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof. Obwohl sie, als Einzige
vermutlich, naiv und stur daran glaubte, dass Baader, Ensslin und Raspe Suizid
begangen hatten. Und dass ihre Leichen vollständig in den Särgen lagen. Der
rote Karle wusste es besser. Er stellte sich vor, wie die Schwingsäge mit einer
Irrsinnsgeschwindigkeit an Gudruns Hirn ansetzte, nachdem die Kopfhaut über das
Gesicht gezogen worden war, er hörte das oszillierende Sirren. Der Schädel
wurde aufgesägt und das Gehirn entnommen. Zusammen mit den Gehirnen von Baader
und Raspe wurde es nach Tübingen geschickt. Dann ging die Reise weiter nach
Freiburg zu einem gewissen Professor Tiberius. Dort kamen die Gehirne nie an.
Vor einem Vierteljahrhundert sind sie verschollen.
    »Glaubst du immer noch an Selbstmord?« Karle lachte gallig.
    »Glauben tu ich nur an Gott den Allmächtigen. Samt all seinen
Ikonen und Säulenheiligen, abgesehen von der Heiligen Dreifaltigkeit.«
    »Der Verfassungsschutz«, sagte Karle.
    Sie winkte ab. »Komm, gang mer weg mit deinen
Verschwörungstheorien.«
    Verschwörungstheorien! Sie hatte offenbar nicht das Geringste
daraus gelernt, dass Che Guevara am 8. Oktober 1967 unter Beihilfe der CIA von
der bolivianischen Regierung wie ein Strauchdieb erschossen worden war. Rosa
war, wie alle vom Schlag der Broghammer-Sippe, stur wie ein Stier und restlos
meschugge. Sie spann wie Mutter Qualberta selig. Im Alter ist das bestimmt
nicht besser geworden, dachte Karle. Rosas Starrsinn entzieht sich den
Machenschaften des Staatsschutzes und sämtlicher Geheimdienste. Von nichts will
sie etwas wissen. Das tragische Ende des Spitzels Ossi Oswald juckt sie so
wenig wie der Abgang des Windbeutels Winterhalter. Karle setzte mit der
Diskussion an, wo er 1983 den Löffel geschmissen hatte.
    »In der Wahl der Mittel hatte die RAF unrecht, Rosa, eine
Stadtguerilla war ohne die Diktatur des Proletariats ohnmächtig. Der
Generalstreik, Herrgottsack!« Er keuchte und musste husten. Wütend stierte er
auf die Zigarre in seiner Hand, ehe er das Kärrele losließ, in die Knie ging,
die Handflächen auf die Oberschenkel stemmte, sich vorbeugte, den Kopf hob und
den wässrigen Blick mit einem Jeseszorn auf seine Schwester richtete. »Was die
Notwendigkeit des revolutionären Umsturzes angeht … Sieh dir die Scheiße
doch an! Die Talfahrt der Wirtschaft, der unvermeidliche Staatsbankrott,

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