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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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aber nicht winterfest.
Manchmal waren es die Stiefel der Söhne, die im Krieg geblieben waren. Niemand
verstand, wie es die Stiefel allein nach Hause geschafft hatten und warum sie
der greisen, dahingeschrumpften Mutter immer noch wie angegossen passten. Die
Witwen grüßten einander mit schiefgelegten Köpfen, wackeligen Kiefern und einem
ins Unbestimmte gerichteten Blick. Bäpp-bäpp-bäpp machten sie, bäpp-bäpp-bäpp.
Dabei kämpften sie gegen das Glatteis, das sich mörderisch unter der dünnen
Schneeschicht verbarg. Mit rudernden Oberkörpern tappten sie vorwärts, staksend
und tonlos murmelnd. Der Unverstand trieb sie voran. Ihnen folgte der Geruch
nach Sauerkraut. Sie zogen ihn hinter sich her wie einen Schutzengel. Wenn sie
dennoch strauchelten und stolperten, wurden plötzlich stechend muffige Schwaden
frei. Ihre ranzigen Körper stanken durch die Kleiderschichten hindurch nach
Verwesung. Die Greisinnen trugen fettige Wollunterröcke und schweißsteife
Strumpfhalter. Ihr fleischiges Geschlecht blieb unbedeckt. Die speckigen
Sonntagskleider wurden durch hundert Druckknöpfe und Häkchen zusammengehalten.
Sie zipfelten unterm Mantelsaum hervor. Die Witwen stöhnten. Stumpf fielen
ihnen Strähnen grauen Haars ins Gesicht, die sie nicht mehr fortwischten. Sie
fegten bloß noch durch die Luft, mit blaugefrorenen Fingern, als dirigierten
sie die Taubheit. Für einen Augenblick verkörperten sie das leibhaftige
Gebrechen, die fleischgewordene Erbsünde. Dann hoben sie das Antlitz in den
bleiernen Himmel. Die Augen glänzten fiebrig. Ihre Münder standen auf, die
dürren Lippen, bereit zum Freudenkuss, zogen sich inwärts. Ihre Gedanken hatten
das Diesseits bereits verlassen. Jede von ihnen war eine Auserwählte.
    Weich legte sich der Schnee um ihre eingesunkenen Schultern,
und die krummbuckligen Weiber fassten sich ans Herz und bückten sich. Tief
versanken sie in den Ruhestätten ihrer Ahnen, wühlend, breitbeinig. Mit dem
Stock stocherten sie am Schrumpfkopf des Gottessohns, der als bronzene
Miniaturausgabe des Oberhaupts selig aus der Grube gekrochen und aufs Kreuz
gestiegen war. Sie ruckten mit den Leibern wie riesige Raben, wenn sie den Wurm
pickten, und befreiten Dornenkrone, Nägel und Schurz. Elend umgab die alten
Weiber. Einsam wedelten sie den Schneestaub von der Einfassung der letzten
Heimat, gossen Weihwasser aus Feldflaschen ins Gefäß und entzündeten mit
Benzinfeuerzeugen die Lichte. Sie schufteten, während der Speichel floss und
ihnen die Kälte in die gespreizte und der Gruft dargebotene Scham kroch. Sie
machten zu, weil es ihnen pressierte. Bevor gegen halber drei die ersten
Trauergäste kamen, die frisch Hinterbliebenen, breiteten die Weiber ihre
schwärzlichen Schwingen aus und flogen in Schwärmen über den Gottesacker dahin.
    Die Lichte erloschen klamm, das Weihwasser gefror. Der Schnee
setzte dem Herrgott die nächste Narrenkappe auf. Die ganze Anstrengung war
umsonst gewesen. Vergebens der Versuch, das Andenken sauber zu halten. Alles
wirkte wirr und konfus. Zur Gänze verlassen. Nur gezielt gesetzte Löcher
dunkelgelben Urins kündeten hinter den Grabeinfassungen davon, dass die Witwen
ihre Pflicht erledigt hatten, und ihre Marken mahnten die Zeternden und mit dem
Lieben Herrgott Hadernden und erinnerten sie an das lästerliche Übel der
Grabpflege.
    Es gab damals noch keine Altersheime, und die Mannen gingen
vor den Weibsbildern, weil sie sich fürchteten vor der infernalischen
Gartenarbeit. So ein Gottesstück musste rund ums Jahr betreut werden. Da wurden
Stiefmütterchen gesetzt, Koniferen geschnitten, Lichte entzündet und es tobte
der Kampf in der Sakristei ums frische Weihwasser. Ein rechter Kerle starb
siechend am Stammtisch. Ein Weib dagegen konnte noch zwei Dutzend Jahre weiterkruppen,
zuletzt lauernd vor sich hindämmern hinter verrotteten Vorhängen und auf
zerschlissenen, feuchten Kissen. Zahnlos und inkontinent, zur Gänze vergreist.
Durch lebenslangen Analphabetismus, Bigotterie und Inzucht triumphierte die
Demenz. Die Weiber waren schon vor dem ersten Kindbett abgeschafft und plagten
sich durch Kuhställe und lebensgefährliche Schwangerschaften, bis sie vom Ruin
erlöst wurden. Sie verloren schier unablässig Blut und Eiter, waren von Kind
auf schwindsüchtig und rachitisch, viele litten unter suppenden Wunden. Dero
Mannen, die von der Schulbank in den Schützengraben gekrochen waren, erkrankten
hingegen kaum. Sie

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