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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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Radioempfänger bellte und das Volk gab
Pfötchen. Da wunderte es Rosa nicht, dass sie zeitlebens einen schwarzen Humor
gehabt hatte. Aber etwas war an der Sache mit der verhexten Kernin ja dran, wie
an jedem Dreck, der hinter vorgehaltener Hand verzapft wurde. Vielleicht hatte
die Kernen-Sippschaft mit dem abergläubischen Geschwätz einen Mord vertuscht,
die Hinrichtung einer Unschuldigen. Eine Frau war mit der Mistgabel aufgespießt
worden. Vermutlich war es eine uneheliche Mutter gewesen, deren Kind bereits im
Gülleloch versenkt worden war und deren Schandtat man ausmerzen musste. Oder
sie war zur Badischen Revolution übergelaufen.
    Rosa hatte sich vor den Kernen gefürchtet, und sie hatte auch
gespürt, dass sie nicht wohlgelitten waren im Dorf. Deshalb waren sie
schließlich hinunter nach Schramberg gezogen nach dem Krieg. Das hatte freilich
weniger mit dem alten Aberglauben zu tun als damit, dass der Kernen Josef ein
Obernazi war und sich nirgends mehr blicken lassen konnte. Als kleines Kind
hatte sie die Füchsin für gefährlicher gehalten als Hitler. Rosa, die längst
erwachsen war, fühlte sich nachträglich noch um die Wahrheit beschissen.
Qualberta hatte ihr das Hirn vernebelt und Schindluder getrieben. Die Spleens
und Ticks der Mutter waren paradox und eine Unsitte. Was für ein Scheiß, was
für ein gnadenloser Blödsinn. Doch Leopold stand unter Qualbertas Pantoffel,
und daheim wurde nicht offen politisiert. Rosa hatte erst begriffen, was Sache
war, als sie nicht zur Hitlerjugend durfte. Sie waren dagegen, und wer dagegen
war, kam ins KZ. Am End kam der Wüstenfuchs und holte den Bruder. Da blieb kein
Raum mehr für die Füchsin. Später wurde das dann vergessen. Nun im Alter fiel
sie ihr wieder ein, die Geschichte mit der Totenküsserin, die als Füchsin
umherging.
    Rosa überlegte, ob Olaf Hahnke die sagenhafte Geschichte
seiner Ahnin kannte. Ob das für seine nekrophilen Neigungen eine Rolle spielte.
Sie fragte sich außerdem, ob die Leiche von Petra Clauss, die in einem Wald bei
Schramberg getötet und auf drei Koffer verteilt in Stuttgart aufgefunden wurde,
vorher dem Tierfraß zum Opfer gefallen, ob sie in einem Akt von sadistisch oder
sexuell geprägtem Nachtatverhalten zerschnitten worden war oder ob es sich um
eine Form der defensiven Leichenzerstückelung mit anschließendem Leichendumping
handelte. War das der Fall, wurde die Tote einfach irgendwo hingebracht, um von
der eigentlichen Tat abzulenken.
    Rosa erinnerte sich zumals, obwohl sie der Sache nie hatte
nachgehen wollen. Lieber scherte sie sich um sich selber. Aber es ließ sich
wohl doch nicht vermeiden. Es sollte nicht sein. Der Liebe Gott wollte, dass
sie diesen verfluchten Mordfall, dem sie vom ersten Tag an aus dem Weg gegangen
war, doch noch aufklärte, sonst hätte er ihr nicht ihren leibhaftigen Bruder
geschickt mit seinem idiotischen Auftrag. »Nicht richten, nicht rechten, nur
beschreiben«, hörte Rosa Tiberius sagen. »Die äußere Beschau, die innere
Beschau, vom Kopf bis zu den Zehen, Kopfhöhle, Brusthöhle, Bauchhöhle. Die
Leiche sagt uns alles, was wir wissen müssen, um ihren Tod zu verstehen. Wir
müssen ihr nur zuhören.«
    Und Rosa hörte, wie es in ihr flüsterte, züngelte und
zischte. Sie lauschte und lauschte dem konstanten Gesumm der Bienen, verstand
aber nichts und schlich verwirrt durch den strotzenden Garten. Fleischfarbene
Kastanienblüten lugten aus haarigen Hüllen, eine Schnake stach Rosa das
Sternbild Stier auf die Backe. Sie war halb betäubt von Erkenntnissen, die sie
nicht einordnen konnte.
    Gegen Mittag riss sie sich wieder halbwegs zusammen. Ihr
Kreislauf war stabil und der Blutdruck unten. Ihr Atem ging normal. Sie war
geduscht und im Kopf beieinander, sie trug frische Unterwäsche und ein luftiges
Kleid mit einem bunten Blumenmuster und goldenen Kordeln. Sie hatte sich sogar
die Nägel beige lackiert. Falls jemand kam und sie mitnehmen wollte. Rosa hatte
nämlich beschlossen, nicht zur Polizei zu gehen und auch sonst nirgendwohin.
    Sie machte sich einen Muckefuck und ein paar Nudeln. Im
Winkel ihrer Küche hing ein hölzernes Kruzifix. Darunter stand auf der Eckbank
ein Topf mit einer pinkfarbenen Primel und ein handgetöpferter
Räucherstäbchenhalter. Und auf dem Sitz der Eckbank lagen drei Stapel vergilbes
Papier: Zeitungen sowie Abschriften von Vernehmungen, Gerichtsakten,
Obduktionsprotokollen. Rosa hatte sie in zwei großen Kisten

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