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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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fielen vorher auf den mit Sägespänen bestreuten, mit
Schnupftabak und Schleim vollgerotzten Boden der Wirtschaft. Dort platzte die
Leber, die, vom Hosenträger gehalten, über dem Gürtel hing.
    Die wuchernde Leber des frischen Leichnams bildete Keimlinge,
die sich durch den Sargdeckel bohrten. Auf den Grabstätten wuchsen, bis tief in
den Frost hinein, seltene Orchideen mit Namen, die man von den Briefmarken aus
Übersee kannte, von den Ärmsten der Armen, die an Orte ausgewandert waren, von
denen keiner zurückkehrte. Auch an diese Verlustigen gemahnte Allerheiligen, an
arme Seelen, die auf fremden Friedhöfen niederkamen mit ihren Sarggeburten, in
uneinsehbaren düsteren Orten, wo es Pech und Schwefel regnete, obgleich die
butterbrotpapierenen Beichten der Auswanderer mit goldener Tinte abgefasst
waren. Alles Lug und Trug. Niemand neidete den Amerikanern ihr Los, wenn er
gefragt wurde, jeder wollte heimlich tauschen und behielt es für sich. Jede
Familie hatte ihre Ehre und ihren Stolz, da gab es nichts.
    Die siechen Greisinnen flatterten als Raben hinauf in den
Himmel. Wo sie dann missgünstig hockten, mit schwärzlichen Schwingen auf Ästen
brütend, dräuend, malmend mit den zahnlosen Kiefern, mit ruckenden Hälsen und
irrlichterndem Blick. Ihre Ahnen hatten das Elend in die Welt gesetzt, diesen
Gottesacker am Dorfrand, am Hang weit hinter der Alten Kirche, wo es
luftdichten Lehmboden gab, der die Leichen konservierte, und unterirdische
Wasseradern, in denen die Särge bis hinunter zur Marialocher Straße fuhren.
Dort stauten sie sich, laut einer Theorie der delirierenden Totengräber, seit
Generationen und die Gräber blieben letztlich leer. Demnach war es auch kein
Problem, in einer Familiengruft jedes Jahr zu bestatten: Nach ein paar Wochen
war kein Mensch mehr da. Die Ewige Ruhe vollzog sich feierlich; mit
aufgedunsenen Leibern, heraushängenden Zungen, langhaarig und mit Krallen
bewehrt in Rüschen liegend ging es nach Nirgendwo, man landete im Ewigen Stau,
an der Straße jenseits der Friedhofsmauer, wo der Urenkel seinem Vorfahr
begegnete, dann standen beide da und kein Mensch wusste weiter.
    Ein Totengräber hatte eine unversehrte Jungfrau aufgebahrt,
Anna Magdalena Reinhardt, eine Zigeunerin, die der Straßenwart aus der neu
verlegten Kanalisation gefischt hatte. Über dem bestickten Totenhemd trug sie
ein Amulett mit der Mutter Maria, in das ihr Name und das Geburtsjahr
eingraviert waren: 1780. Als der Altpfarrer es pietätvoll küssen wollte, bäumte
die Leiche sich auf und ein Schwall geronnenen Blutes schwappte aus ihrem Mund
und rann über seinen Talar, den er eigens angelegt hatte. Ihre gefalteten
Finger lösten sich und die Zigeunerin warf ihre Arme um Hochwürden, in einem um
Errettung bettelnden Griff, dem sein Verstand auf der Stelle erlag. Der
Geistliche starb drei Jahrzehnte später, in den neunziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts, hochbetagt und im weit überbiblischen Alter in der
nahen Nervenheilanstalt der Großen Kreisstadt, die ihn seitdem kostenlos
beherbergt hatte.
    Der Winter blieb weiß und makellos. Punkt drei, zur Stunde
des Todes Jesu am Karfreitag, hörte es auf zu schneien und der Himmel verfärbte
sich rabenschwarz. Die Luft stockte. Auf einen Schlag wurde es fünf Grad
wärmer. Die Witwen kehrten zurück. An der Neuen Mariabronner Kirche läuteten
die Glocken und es klang, als schlügen sie gegen eine Wand. Der Flüchtlingshund
hob den Kopf und jaulte. Ein Schauer lief über seinen Körper, ein
langgestrecktes Zittern. Er bellte heiser. Dann zog er den Schwanz ein und
verschwand. Am Hang lang kam die Prozession angeschwebt, ein Schwarm schräger
Vögel, angeführt von der Blaskapelle, danach der Kirchenchor, dann kam der
Pfarrer mit seinen Ministranten, hintendrein lotterte das johlende Volk. Es
tönte närrisch. Schon auf der Straße wurde die Pauke gedroschen und auf der
Anhöhe hat man lautstark gesungen. »Ich bete an die Macht der Liebe, / die sich
in Jesu offenbart. / Ich geb mich hin dem freien Triebe, / mit dem ich treu
geliebet ward.« Geliebet wurde an diesem Schandfleck keiner. Starb die Mutter
nicht geschwind, musste sie sich von der zu kurz gekommenen Tochter pflegen
lassen, und die Tochter tat ihr jeden Morgen Schimmel ins Gsälz, was aber eine
Ewigkeit lang nichts fruchtete. In jeder Fürbitte erklang der schrille Wille,
den Nachbarn in puncto Vergessen zu überbieten. Das Leid musste mit Mozart

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