Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Turnip würde nicht merken, dass ich weg bin.« Wieder kam die Gabel hoch, doch diesmal war sie auf mich gerichtet. »Nein. Das ist zu hart. Wenn Tom das Toilettenpapier ausgeht, würde er vielleicht brüllen, wo ich denn stecke.«
Anne ließ ein volles, kehliges Lachen hören. »Das ist doch ein hübsches Bild, Schätzchen. Der große Anwalt, sitzt auf dem Topf und findet kein …«
»Annie.«
»Kleine, der Kerl ist Geschichte.«
Einige Augenblicke lang aßen wir schweigend. Danach versuchte ich noch einen letzten Anlauf.
»Annie, hier spricht Tempe. Ich kenne dich. Ich kenne Tom. Seit zwanzig Jahren sehe ich euch beide zusammen. Sag mir, was wirklich los ist.«
Anne legte die Gabel weg und zupfte an der Papierserviette unter dem Weinglas. Eine ganze Minute verging, bis sie den Mund aufmachte.
»Alles war wunderbar, als Tom und ich uns kennen lernten. Jede Nacht der Einmarsch der Toreros. Und so blieb es auch lange Zeit. Bücher und Talk-Shows erzählen einem, dass verheiratete Paare eine Entwicklung durchmachen von lodernder Leidenschaft zu nicht mehr ganz so heiß, und dass das ganz normal ist. Aber bei Tom und mir ist das nicht passiert.«
Die Serviette franste aus.
»Zumindest nicht bis vor ein paar Jahren.«
»Redest du jetzt über Sex?«
»Ich rede von einer kompletten Abschaltung. Toms Flamme ging plötzlich aus, und er konzentrierte sich auf alles, was nicht ich war. Ich gab mich mit immer weniger und weniger von ihm zufrieden. Letzte Woche dämmerte es mir dann. Unsere Wege kreuzten sich kaum noch.«
»Es ist also nichts Schreckliches passiert?«
»Das ist es ja gerade. Es war rein gar nichts passiert. Es passierte nichts. Und es würde auch nichts mehr passieren. Ich hatte angefangen, mich wie taub zu fühlen. Und ich hatte angefangen zu glauben, dass taub vielleicht gar nicht so schlecht ist. Es fühlte sich inzwischen normal an.«
Anne schob die Serviettenfetzen zu einem Häufchen zusammen.
»Das Leben ist zu kurz, Tempe. Ich will nicht, dass auf meinem Grabstein steht: ›Hier ruht eine Frau, die Häuser verkaufte.‹«
»Ist es nicht noch ein bisschen zu früh, um jetzt schon ans Ende zu denken?«
Mit einer Handbewegung wischte Anne die Fitzel vom Tisch.
»Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich versucht, die perfekte Ehefrau zu sein. Und das Ergebnis ist tiefe Enttäuschung. Einen Schlussstrich ziehen und neu anfangen. Das ist meine neue Philosophie.«
»Hast du schon mal an eine Therapie gedacht?«
»Erst wenn die Hölle und die Golfplätze zufrieren.«
»Du weißt, dass Tom dich liebt.«
»Tut er das?«
»Wir treffen in unserem Leben nur wenige Menschen, denen wir wirklich etwas bedeuten.«
»Wie Recht du hast, Schätzchen.« Mit einer schnellen, ruckartigen Bewegung leerte Anne ihr viertes Glas und stellte es auf die verstümmelte Serviette. »Und das sind die Leute, die uns am tiefsten verletzen.«
»Annie.« Ich zwang meine Freundin, mich anzusehen. Sie hatte tiefe, dunkelgrüne Augen, die Pupillen glänzten alkoholisiert. »Bist du dir sicher?«
Anne ballte die Hände zu Fäusten und stützte ihre Stirn darauf. Nach einem kurzen Zögern kam ihr Gesicht wieder hoch.
»Nein.«
Ihre Stimme klang so unglücklich, dass mir beinahe das Herz stehen blieb.
Während unseres Abendessens hatte der Wind eine persönliche Bestmarke aufgestellt, und die Temperatur war entsprechend gefallen. Die wenigen hundert Meter nach Hause kamen uns vor, als würden wir über den Iditarod von Anchorage nach Nome stapfen.
Böen jaulten durch die Ste. Catherine, fuhren in unsere Kleidung und sandstrahlten unsere Gesichter mit Eis und Schnee. Anne und ich liefen gebückt wie Soldaten auf dem Weg in den rettenden Bunker.
Als wir in meine Straße einbogen, bemerkte ich vor meiner Haustür eine merkwürdige Schneeverwehung. Obwohl meine Augen vor Kälte tränten, kam mir irgendetwas an diesem Häufchen sehr, sehr verkehrt vor.
Nachdem ich geblinzelt hatte, um wieder klar zu sehen, dehnte der Schneehaufen sich aus, veränderte die Form, zog sich wieder zusammen.
Ich blieb stehen und runzelte die Stirn. Konnte das sein?
Ein Fortsatz wurde ausgestreckt und wieder eingezogen.
Was zum Teufel war da los?
Ich rannte über die Straße und die Außentreppe hoch.
»Birdie!«
Mein Kater hob leicht das Kinn und verdrehte die Augen. Als er mich sah, schoss er, scheinbar ohne ein Glied zu bewegen, auf mich zu. Eine kleine Wolke quoll mir aus dem Mund, als sein Gewicht auf meine Brust
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