Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Bäume abgrast oder im Keller kleine pelzige Dinger frisst. Er fand das nicht sehr witzig.«
Ryan stand auf. »Und der Mann auf dem Foto?«
Cyr hielt ihm das Fax entgegen. »Keine Knoten.«
An der Tür blieb Ryan noch einmal stehen.
»Noch eine letzte Frage, Sir. Haben Sie und Menard sich in gutem Einvernehmen getrennt?«
»O nein. Ich hab den Mistkerl rausgeschmissen.«
»Und warum?«
»Hatte die Nase voll von den Beschwerden der anderen Mieter.«
»Beschwerden worüber?«
»Vorwiegend wegen anstößiger Kundschaft. Ein paar wegen Lärm spätabends.«
»Was für Lärm?«
»Keine Ahnung. Aber ich hatte genug von dem Aufruhr. Ist das das richtige Wort? Aufruhr?«
»Ja.«
»Klingt vielleicht komisch. Wie ’ne Krankheit.«
Ryan setzte mich zu Hause ab, entschuldigte sich und sagte, er habe das ganze Wochenende Dienst. Er versprach, mich anzurufen, wenn er irgendwas Neues über Menard oder die anderen Fingerabdrücke erfuhr. Oder über Anne.
Ich fragte nicht, ob sein Dienst sich auch auf die Samstagnacht erstreckte.
Was soll’s? Wen interessiert’s?
Auf meinem Anrufbeantworter waren keine Nachrichten.
Katy wollte mich am zweiundzwanzigsten in Charlotte haben, also versuchte ich, mich mit Dingen zu beschäftigen, die vor meiner Abreise erledigt werden mussten.
Bettwäsche. Pflanzen. Einpacken von Geschenken für den Hausmeister, die Labortechniker.
Ryan?
Ich schob das beiseite.
Außerdem beschäftigte ich mich mit Dingen, die einfach nur getan werden mussten.
Wäschewaschen. Katzenstreu. Post.
Ich hörte Weihnachtsmusik in voller Lautstärke, weil ich hoffte, dass bimmelnde Glöckchen oder posaunende Engel mich in Festtagsstimmung versetzen würden.
Um drei gab ich auf und fuhr ins Wilfrid-Derome.
Typischer Samstagnachmittag. Das Institut war leer und still wie ein Grab.
Ein Demande d’Expertise- Formular lag auf meinem Tisch.
Vor vier Monaten war ein Aufzug-Servicemann bei einer Inspektion in einem Gebäude in Côte St. Luc verschwunden. Am Donnerstag war seine verweste Leiche im Parc Angrignon in LaSalle gefunden worden. Röntgenaufnahmen zeigten mehrere Brüche. Pelletier wollte, dass ich die Verletzungen nach Säuberung der Knochen analysierte.
Ich legte das Formular beiseite und nahm noch einmal Claudels Liste zur Hand.
An der Decke summten die Neonröhren. Draußen heulte der Wind um die Fensterfutter. Hin und wieder klickte ein gefrorenes, vom Wind herbeigewehtes Teilchen gegen eine Scheibe.
Simone Badeau. Zu alt.
Isabelle Lemieux. Zahnfüllungen.
Marie-Lucille d’Aquin. Schwarz.
Micheline Thibault. Zu jung.
Tawny McGee. Viel zu jung.
Céline Dallaire. Gebrochenes Schlüsselbein mit vierzehn.
Die Liste setzte sich fort.
Nach einer Stunde wechselte ich zu Charbonneaus Liste.
Jennifer Kay. Esther Anne Pigeon. Elaine Masse. Amy Fish. Teresa Perez.
Hin und wieder ging ich ins Labor, um einen Knochen noch einmal zu überprüfen, in der Hoffnung, ein Detail zu finden, das ich bis jetzt übersehen hatte. Jedes Mal kehrte ich enttäuscht zurück.
Als ich mit den Namen durch war, ging ich die Listen noch einmal anhand des Alters durch. Dann der Größe. Des Datums des Verschwindens.
Ich wusste, dass ich nur nach Strohhalmen griff, aber es war wie ein Zwang. Ich konnte einfach nicht aufhören.
Unten im Korridor hörte ich die Sicherheitstür aufgehen.
Ort des Verschwindens.
Terrebonne. Anjou. Gatineau. Beaconsfield.
Butte County. Tehama County. San Mateo County.
Um sechs lehnte ich mich völlig entmutigt zurück. Zweieinhalb Stunden, und ich hatte rein gar nichts erreicht.
Schritte klangen hohl über den leeren Gang. Wahrscheinlich LaManche. Außer mir wäre der Chef wohl der Einzige, der an einem Samstagabend arbeitete.
Glückwunsch, Brennan. Du hast dasselbe gesellschaftliche Leben wie ein Sechzigjähriger mit sieben Enkeln.
Zurück zu den Listen.
Ich hatte noch immer das beharrliche Gefühl, irgendeine Verbindung übersehen zu haben.
Was?
Die Schnittspuren?
Alle drei Schädel zeigten Hinweise auf Verletzungen mit einem scharfen Instrument. Bei dem Mädchen in Leder schienen die Schnitte postmortal gemacht worden zu sein. Bei den anderen waren sie offensichtlich in frischem Knochen gemacht worden. Bei allen drei waren die Schnitte auf die Ohrregion beschränkt.
Todesabfolge?
Die C-14-Datierung deutete darauf hin, dass das Mädchen in Leder in den Achtzigern gestorben war, die beiden anderen in den Neunzigern.
Herkunftsort?
Die Strontiumisotopen-Analyse
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