Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Zeichen.«
»Ja.« Daran hatte ich gar nicht gedacht.
Pause.
»Willst du zu mir kommen?«
Eigentlich schon. Aber: »Ich komme schon zurecht. Warum rufst du an?«
»SIJ konnte auf dem Brieföffner Fingerabdrücke sicherstellen. Zwei verschiedene.«
»Von Menard und der Frau.«
»Du hast wahrscheinlich zur Hälfte Recht.«
»Zur Hälfte?«
»Der Kerl ist nicht Menard.«
28
»Die Abdrücke wurden von zwei verschiedenen Personen hinterlassen. Keiner der beiden passt zu Menard.«
»Bist du sicher?«
»Ich habe alles runter nach Vermont geschickt. Das dortige Labor hat die Abdrücke von unserem Brieföffner mit denen verglichen, die man Menard abgenommen hatte, als er wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss festgenommen wurde.«
»Aber Menard hatte diesen Brieföffner doch in der Hand.« Ich konnte es einfach nicht glauben.
»Der Kerl im Haus hatte ihn in der Hand. Aber er ist nicht Menard.«
»Was ist mit den zweiten Abdrücken?«
»Noch nichts. Wir lassen sie hier durchlaufen und schicken sie durchs AFIS in den Staaten.«
AFIS ist das Automatisierte Fingerabdruck-Informationssystem.
»Wenn der Kerl nicht Menard ist, wer ist er dann?«
»Eine außergewöhnlich scharfsinnige Frage, Dr. Brennan.«
Das alles ergab keinen Sinn. »Vielleicht ist bei den Abdrücken irgendwas schief gelaufen.«
»Kann schon mal passieren.«
»Charbonneau hat ein Foto von Menard aus einem College-Jahrbuch. Vielleicht sollten wir das mal Cyr zeigen und sehen, was er sagt.«
»Kann nicht schaden«, entgegnete Ryan.
Ich wartete und hoffte insgeheim, dass Ryan sein Angebot wiederholen würde. Tat er aber nicht.
»Ich besorge das Foto von Char …«, setzte Ryan an.
Im Hintergrund hörte ich etwas, das eine weibliche Stimme hätte sein können, und dann das gedämpfte Geräusch einer Hand, die die Sprechmuschel abdeckt.
»’tschuldigung.« Ryans Stimme klang etwas tiefer. »Ich besorge das Foto von Charbonneau und hole dich um acht ab.«
Ich schaffte ein einsames freitägliches Abendessen aus Makkaroni und Käse. Dann ein langes, heißes Bad. Dann die Elf-Uhr-Nachrichten.
Im Bett bombardierten dunkle, unwillkommene Bilder mein Bewusstsein.
Ein schmuddeliger Keller. Knochen in einer Kiste. Knochen in Gräben.
Eine Frau im Bett, graue Haarsträhnen im Gesicht. Eine besudelte Matratze. Ein lebloser Körper auf rostfreiem Stahl.
Zertrümmerte Spiegel. Eine Scherbe in einem Gemälde.
Anne mit ihrem Gepäck. Anne, die über ihre Blumenmusterbrille lugt.
Ich spürte einen Schrei in meinem Bauch, heiße Nässe auf meinem Gesicht.
Als ich das letzte Mal so erschüttert gewesen war, war Ryan bei mir gewesen. Ich erinnerte mich, wie er mich in die Arme genommen und meinen Kopf gestreichelt hatte. Ich hatte sein Herz schlagen hören. Er hatte mir das Gefühl gegeben, stark und schön zu sein, und die Hoffnung, das alles wieder gut wird.
Meine Brust bebte, und ein Schluchzen drang meine Kehle hoch.
Ich atmete tief ein, zog die Knie an die Brust und ließ den Tränen freien Lauf.
Einmal herzhaft weinen ist heilsamer als eine Stunde bei einem Seelenklempner.
Als ich aufwachte, war ich gereinigt von all dem Kummer und der aufgestauten Frustration.
Erfrischt.
Und wieder ganz Herr meiner selbst.
Bis ich mich zwölf Stunden später völlig lächerlich machte.
Tom rief um sieben an, um mich zu fragen, ob ich schon etwas von Anne gehört hätte. Hatte ich nicht.
Er hatte herausgefunden, dass seine Frau keinen Platz in irgendeiner Maschine dieser Woche von Montreal nach Charlotte reserviert hatte. Ich sagte ihm, dass ich mit einem SQ-Beamten gesprochen hatte.
Tom meinte, Anne sei wahrscheinlich irgendwohin gefahren, wo sie allein sein und nachdenken könne, und wir würden bald von ihr hören. Ich stimmte ihm zu. Wir hatten beide das Bedürfnis, es zu glauben.
Beim Auflegen fiel mein Blick wieder auf den Spiegel. Neun Tage waren seit dem Einbruch vergangen, und die Polizei hatte noch nicht die geringste Spur.
Ein Erinnerungsblitz.
Annes Kerl auf 3C.
Ach du meine Güte. War sie mit einem Fremden durchgebrannt, den sie im Flugzeug kennen gelernt hatte? Konnte dieser Fremde auch derjenige sein, der meine Wohnung verwüstet hatte?
Noch ein Blitz.
Die von Ryan angeordnete Überwachung.
Gab es noch immer verstärkte Streife in meiner Straße? Hatte vielleicht ein vorbeifahrender Einsatzwagen Anne weggehen sehen?
Unwahrscheinlich, aber nachfragen konnte nicht schaden.
Ich zog mich an und ging nach draußen.
Wieder ein
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