Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
makelloser Tag. Das Radio hatte eine Höchsttemperatur von minus dreißig Grad Celsius vorausgesagt. Um sieben Uhr fünfundfünfzig waren wir noch nicht einmal in der Nähe.
Innerhalb von zehn Minuten kam ein Polizeiwagen meine Straße hochgerollt. Ich ging zum Bordstein und winkte die Beamten heran.
Ja, sie würden noch immer regelmäßig vorbeifahren. Ja, dieses Team sei die ganze Woche tagsüber im Einsatz gewesen. Nein, sie hätten keine große Blonde mit viel Gepäck gesehen. Sie versprachen, die Kollegen von den anderen Schichten zu fragen.
Zurück in die Eingangshalle, wo es wenigstens so warm war, dass das Blut wieder zirkulierte.
Ryan fuhr um zehn nach acht vor. Das Auto roch nach Zigarettenqualm.
» Bonjour. «
» Bonjour. «
Ryan gab mir das gefaxte Foto aus Menards College-Jahrbuch. Die Aufnahme war klein und dunkel, beim Faxen waren alle Farbe und ein Teil des Kontrasts verloren gegangen. Aber das Gesicht war einigermaßen gut zu erkennen.
»Sieht aus wie Menard«, sagte ich.
»Und wie tausend andere mit roten Haaren, Brille und Sommersprossen.«
Ich musste ihm zustimmen.
»Schon was Neues von deiner Freundin?«
»Nein.«
Ich bewegte die Füße. Öffnete meinen Parka. Ich wusste nicht, was ich mit meinen Augen tun sollte. Meinen Beinen. Meinen Armen. Ich fühlte mich verlegen und unbehaglich in Ryans Gesellschaft. Ich war mir nicht sicher, ob ich eine Unterhaltung mit ihm schaffte.
»Schlechte Nacht?«
»Warum interessierst du dich plötzlich für meinen Schlaf?«
»Du siehst müde aus.«
Ich schaute Ryan an. Die Schatten unter seinen Augen wirkten tiefer, das gesamte Gesicht angespannter.
Was zum Teufel ist denn mit dir los? Wollte ich fragen.
»Ich habe viel am Hals«, sagte ich.
Ryan legte sich den Zeigefinger an die Nase. »Haben wir das nicht alle?«
Zwanzig Minuten später standen wir vor Cyrs Haustür.
Ryan hatte uns telefonisch angemeldet, und Cyr kam bereits nach dem ersten Klingeln an die Tür. Diesmal war der alte Zausel vollständig bekleidet.
Im Wohnzimmer setzte Cyr sich in denselben Ruhesessel, in dem er schon bei meinem Besuch mit Anne gesessen hatte.
Der alte Maxe.
Lass das, Brennan.
Ich stellte Ryan vor und ließ ihn dann reden.
» Monsieur Cyr, nous avons … «
»Sprechen Sie doch Englisch für unsere kleine Dame hier.« Cyr grinste mich an. »Wo ist eigentlich Ihre gut aussehende Freundin?«
»Anne ist nach Hause zurückgefahren.«
Cyr legte den Kopf schief. »Die ist vielleicht eine Rakete.«
»Wir werden Ihre Zeit nur kurz in Anspruch nehmen.« Ryan zog das Fax aus der Tasche und gab es Cyr. »Ist das Stephen Menard?«
»Wer?«
»Stéphane Ménard. Der Mann, der in Ihrem Haus die Pfandleihe hatte.«
Cyr warf einen kurzen Blick auf das Fax.
» Tabernouche! Ich sehe vielleicht aus wie Bogie, aber ich bin zweiundachtzig Jahre alt.«
Cyr stemmte sich hoch, schlurfte durchs Zimmer und schaltete den Fernseher ein. Dann nahm er eine große, kastenförmige Lupe zur Hand, die über ein Kabel mit dem Fernseher verbunden war, drückte auf einen Knopf und hielt das Gerät über das Fax.
Menards Gesicht füllte den Bildschirm aus.
»Das ist ja großartig.«
»Videolupe. Tolles Spielzeug. Damit kann ich so ziemlich alles lesen.«
Cyr bewegte die Lupe beiläufig über das Foto und konzentrierte sich dann auf Menards Ohr. Er vergrößerte das Bild, bis beinahe nur noch der obere Rand der Ohrhelix auf dem Bildschirm zu sehen war.
»Nee.« Cyr richtete sich auf. »Das ist nicht Ihr Junge.«
»Woher wissen Sie das?« Ich wunderte mich über seine Sicherheit.
Cyr legte die Lupe weg, kam zurück und winkte mir mit gekrümmtem Zeigefinger.
Ich stand auf.
»Sehen Sie das?« Cyr betastete einen kleinen knorpeligen Auswuchs am oberen Ohrrand.
»Ein Darwin-Höckerchen«, sagte ich.
Cyr richtete sich auf. »Kluges Kind.«
Ryan schaute uns mit verwirrter Miene zu.
»Ich kannte nie jemanden, der solche Knoten hatte wie ich, also hab ich sie einmal meinem Arzt gezeigt. Er meinte, das ist ein rezessives Merkmal. Hat mir ein paar Artikel gegeben.« Cyr schnippte an seinem Ohr. »Wissen Sie, woher diese kleinen Kerle ihren Namen haben?«
»Früher dachte man, sie seien ein Überbleibsel der spitzen Ohren von Vierbeinern.«
Cyr wippte vor Freude auf den Zehen.
»Was hat das mit Menard zu tun?«, fragte Ryan.
»Menard hatte die dicksten Dinger, die ich je gesehen hab. Ich hab ihn deswegen aufgezogen. Hab ihm gesagt, eines Tages ertappe ich ihn dabei, wie er
Weitere Kostenlose Bücher