Totennacht (German Edition)
er?»
«Sich über seinen Nachbarn beschweren.»
Kat schnappte nach Luft. «Über Eric?»
«Ja», antwortete Lou. «Über lautes Geschrei in seinem Haus. Du solltest mal vorbeifahren.»
Kat bog von der Main Street ab und trat aufs Gaspedal. Als sie die Sackgasse erreichte, sah sie Ken Olmsteads Lastwagen immer noch am Straßenrand stehen. Sie parkte ihren Crown Vic direkt dahinter.
«Bin gleich wieder da», sagte sie zu James und sprang nach draußen. «Verriegle die Türen. Und rühr dich nicht vom Fleck. Wenn doch, gibt’s noch eine Woche Hausarrest.»
Im Haus war alles still. Geschrei gab es nicht. Nur ein Telefon klingelte irgendwo im Wohnzimmer. Kat warf einen Blick durch die Tür. Der Raum war leer. So auch die Küche und das Esszimmer. Sie ging durchs Treppenhaus nach oben.
Eric hockte auf dem Boden und lehnte mit dem Rücken an der Tür von Charlies Zimmer.
«Eric, was machst du da? Und wo ist dein Vater?»
Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter. «Da drin.»
«Hast du ihn eingesperrt?»
«Mir blieb nichts anderes übrig», antwortete Eric. «Er wollte verschwinden.»
«Du hättest ihn gehen lassen sollen.»
«Aber er verschweigt mir etwas. Was Charlie betrifft.»
«Lass gut sein», sagte Kat. «Der Fall scheint aufgeklärt. Nick und die State Police haben den Schuldigen überführt und festgenommen. Bleibt nur noch die Frage, was er mit den anderen Jungen gemacht hat.»
«Es ist also vorbei?», fragte Eric stockend und ungläubig. «Wirklich vorbei?»
«Ich warte noch auf Nicks Bestätigung. Aber es scheint so. Komm, wir schließen jetzt die Tür auf und lassen deinen Vater frei.»
Eric öffnete die Hand und ließ sich den Schlüssel abnehmen.
«Wer ist es, den sie festgenommen haben?»
Kat steckte den Schlüssel ins Schloss. «Der Besitzer des Ferienlagers, aus dem Dwight Halsey verschwand. Er war mal mit Jennifer Clark verlobt, der Tochter von Mort und Ruth.»
«Craig Brewster?»
«Ja.» Kat drehte den Schlüssel und ließ den Riegel aufschnappen. «Woher kennst ...»
Die Tür wurde aufgerissen. Kat, die den Knauf gepackt hielt, verlor das Gleichgewicht und stürzte ins verstaubte Zimmer. Ken Olmstead sprang über sie hinweg, bückte sich und rammte, nach draußen rennend, seinem Sohn den Kopf in den Bauch.
Beide landeten vor der gegenüberliegenden Wand. Eric bekam die ganze Wucht des Aufpralls zu spüren, schlug mit dem Hinterkopf auf und erschlaffte. Ken packte ihn beim Kragen und stieß ihn zurück ins Zimmer.
Kat war wieder aufgesprungen, als Eric ihr entgegentaumelte. Während sie noch nach Kräften versuchte, ihn auf den Beinen zu halten, fiel die Tür ins Schloss, und noch ehe sie nach dem Knauf greifen konnte, hatte Ken auf der anderen Seite den Schlüssel herumgedreht.
Jetzt waren sie die Eingesperrten.
«Tut mir leid», rief Ken von draußen. «Ich habe das nicht gewollt. Aber du wirst nie verstehen, warum ich nicht anders konnte.»
Kat schlug mit beiden Händen gegen die Tür. «Mr. Olmstead, gehen Sie jetzt nicht weg. Wir sollten uns an einen Tisch setzen und miteinander reden. Es ist womöglich nicht so schlimm, wie Sie glauben.»
«Tut mir leid», wiederholte Ken. «Machen Sie meinem Sohn begreiflich, dass ich es für ihn getan habe.»
Das Ohr ans Türblatt gepresst, hörte Kat Ken die Treppe hinunterlaufen. Sekunden später öffnete und schloss sich die Haustür.
Eric versuchte, das Fenster aufzureißen. «Er haut ab.»
Auch mit vereinten Kräften ließ sich der Fensterflügel nicht öffnen. Er klemmte. Kein Wunder, da er seit über vierzig Jahren nicht mehr bewegt worden war.
Draußen startete mit dumpfem Grollen ein Motor. Ken Olmsteads Lastwagen setzte sich in Bewegung. Vom Fenster aus sahen Kat und Eric ihn am Ende der Sackgasse wenden und in umgekehrter Richtung Tempo aufnehmen, vorbei am Streifenwagen, in dem sich James über das ungewöhnliche Manöver ebenso verblüfft zeigte wie seine Mutter oben am Fenster.
«James!» Kat schlug gegen die Scheibe, um den Jungen auf sich aufmerksam zu machen. «Ich bin hier oben.»
Aber James hörte sie nicht und schaute dem Lastwagen nach, der eine schwarze Dieselwolke ausstieß, am anderen Ende der Sackgasse abbog und verschwand.
Ken Olmstead hatte sich aus dem Staub gemacht.
«Was hat er dir erzählt?» Kat eilte zur Tür und drehte am Knauf. Vergeblich.
«Dass Charlie nicht mein leiblicher Bruder war.»
Das wusste Kat bereits. Doch so überraschend das Geständnis auch sein mochte, erklärte es
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