Totennacht (German Edition)

folgte dicht hinter ihr. Der Weg war beschwerlich. Zweige schlugen ihnen entgegen, dornige Ranken lagen ihnen wie Fallstricke im Weg. Rechter Hand stürzte das Wasser in die Tiefe und ließ einen Tropfennebel aufsteigen, der sie einhüllte und den Boden unter ihren Füßen glitschig machte.
    «Du und Nick Donnelly», sagte Eric. «Ihr beide seid also ...»
    Er unterbrach sich und ließ Kat die Wahl des letzten Wortes. Ein Flirt? Kollegen? Ein Paar?
    «Wir sind Freunde», erklärte sie. «Gute Freunde.»
    «Wie habt ihr euch kennengelernt?»
    «Nick war bei der State Police», antwortete sie. «Im vergangenen Jahr hat er mir bei den Ermittlungen in einem Mordfall geholfen.»
    «Davon habe ich gehört. Kaum zu glauben, dass so etwas in Perry Hollow passieren konnte.»
    Genauso schwer vorstellbar war es, dass Erics Bruder in diesem Wald von einem Fremden entführt worden war. Aber die Möglichkeit bestand. Ungefähr achtzig Prozent aller Kindesentführungen ereigneten sich im unmittelbaren Umfeld der Wohnung des Entführungsopfers. Nur war dies hier ein sehr entlegener Ort mit nur einem Zuweg. Ein Fremder wäre auf der Straße aufgefallen.
    Die beiden erreichten am Fuß der Sunset Falls eine kleine ebenerdige Lichtung mit einer Uferböschung aus Kieselsteinen. Das Wasser stürzte in ein tiefes Becken, in dem es zu kochen schien. Nach offizieller Messung betrug die Fallhöhe genau zehn Meter. Von Kats Blickwinkel aus betrachtet, schien sie aber sehr viel größer.
    «Glaubst du, man könnte einen Sturz von dieser Klippe überleben?»
    «Das bezweifle ich», antwortete Eric. «Es müsste schon sehr viel Glück im Spiel sein.»
    Aus dem Becken ragten Felsen auf, so scharfkantig und bedrohlich, dass sie Kat an Dinosaurierzähne erinnerten, die darauf warteten zu verschlingen, was ihnen in die Fänge fiel.
    Jenseits des Beckens schnitt der Fluss eine langgezogene Schneise durch den Wald. War Charlie Olmsteads Leiche irgendwo ans Ufer gespült worden, oder hatte sie sich womöglich zwischen untergetauchten Ästen verkeilt? Vorausgesetzt natürlich, der Junge war tatsächlich über die Klippen gestürzt.
    «Glaubst du, meine Mutter hatte recht?», fragte Eric.
    «Wer weiß? Jedenfalls wird Nick der Sache nachgehen und tun, was er kann.»
    Kat wollte sich in die Ermittlungen nicht einspannen lassen. Sie hatte Nick nur deshalb begleitet, weil sie neugierig darauf gewesen war, Eric wiederzusehen. An der Lösung des Rätsels um Charlie sollten sich die beiden allein versuchen, denn ihr stand nicht der Sinn danach, Zeit zu verlieren, um schließlich zu dem gleichen Ergebnis zu kommen wie ihr Vater.
    Sie warf einen letzten Blick auf den Wasserfall und machte sich auf den Rückweg. Wieder nach oben zu gelangen war noch beschwerlicher als der Abstieg. Zurück auf der Brücke und völlig außer Atem, sah sie, wie Nick mit Hilfe seines Stocks vom Boden aufstand. Ihr Stelldichein mit Eric war offenbar vorbei.
    «Ich glaube, unserem Freund ist langweilig geworden», sagte sie.
    Eric ging diesmal als Erster über die Brücke. «Man kann sich doch auf ihn verlassen, oder?»
    «Absolut. Wenn er sich an etwas festbeißt, lässt er nicht mehr locker.»
    Als Kat hinter Eric die Brücke fast überquert hatte, war plötzlich ein Knarren zu hören, das sie vor Schreck zusammenzucken ließ. Aus dem Knarren wurde ein lautes Krachen, und bevor sie reagieren konnte, gab die Bohle unter ihren Füßen nach.
    Schreiend sackte sie ab und rutschte bis zum Oberkörper durch die aufgerissene Lücke. Sie trat mit den Beinen aus und spürte einen Fuß ins kalte Wasser eintauchen. Ein Teil der zerbrochenen Bohle schlug ihr vors Fußgelenk und trieb auf die Klippen zu.
    Blitzschnell war Eric zur Stelle und fasste sie bei den Armen. Seine Schuhe unmittelbar vor den Augen, sah sie, wie sich das Brett unter ihm durchbog.
    «Pass auf!», brüllte sie. «Und leg dich auf den Bauch, damit dein Gewicht besser verteilt ist.»
    Vorsichtig ging Eric in die Hocke und robbte schließlich bäuchlings auf sie zu. Hinter ihm sah sie Nick auf die Brücke steigen.
    «Kat? Alles in Ordnung mit dir?»
    In schnellen, kurzen Schritten kam er näher, wobei sein Stock aufs Holz knallte. Die Tragebalken ächzten unter der zusätzlichen Last einer dritten Person. Kat glaubte zu spüren, wie sich die ganze Brücke ein Stück zur Seite neigte.
    «Zurück!», schrie sie. «Runter von der Brücke!»
    Nick machte kehrt. Auch Eric kroch zurück und zog sie an den Unterarmen nach, bis es ihr