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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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noch stärker überwuchert als auf dem Teilstück, das sie zurückgelegt hatten.
    «Wohin führt dieser Weg?», fragte Nick.
    «An den Fuß des Wasserfalls», antwortete Kat. «Früher ein beliebtes Ausflugsziel. Man hat dort gepicknickt und Fotos gemacht. Aber nach Charlies Verschwinden wollte niemand mehr dorthin.»
    «Kommt man noch auf anderem Weg nach unten?»
    Kat wusste, worauf er mit seiner Frage abzielte. Wenn der verschwundene Junge am Wasserfall entführt worden war, musste Nick alle Wege kennen, die in das Gebiet hinein- und hinausführten.
    «Nein. Nur über diesen Trampelpfad hier.»
    Tatsächlich gab es jedoch auch diese Möglichkeit nicht mehr, denn die Brücke war noch auf Veranlassung ihres Vaters gesperrt worden. Davor stand ein morscher Holzbock, darauf ein rostiges Schild mit der Aufschrift «Durchgang verboten».
    «Ob das Ding noch hält?», fragte Eric mit skeptischem Blick auf den ramponierten Steg.
    Vor vielleicht zwanzig Jahren war Kat das letzte Mal auf der Brücke gewesen. «Riskieren wir’s.»
    Kat rückte den Bock beiseite und musterte die grau gewordenen, wurmstichigen Holzbohlen, die aber noch stabil genug erschienen.
    Sie setzte einen Fuß darauf. Nichts passierte. So weit, so gut. Etwa fünfzehn Schritte lagen vor ihr.
    «Kommt ihr?»
    Nick schüttelte den Kopf. «Nein danke.»
    Kat hüpfte auf der Stelle auf und ab, um die Belastbarkeit der Bohlen zu testen. «Scheint sicher. Wo bleibt deine Abenteuerlust?»
    «Das letzte Mal, als ich abenteuerlustig war, ist das hier passiert», entgegnete Nick und tippte mit dem Stock an sein rechtes Knie. «Ich lehne mich lieber an einen Baum und schaue euch zu.»
    Dass er verzichtete, war untypisch für ihn. Kat ahnte den eigentlichen Grund, warum er es vorzog zurückzubleiben. Er wollte ihr die Gelegenheit bieten, eine Weile mit Eric allein zu sein.
    Kat schüttelte den Kopf und blickte nach vorn. Auf Zehenspitzen setzte sie vorsichtig den nächsten Schritt und griff mit der Hand nach dem hüfthohen Geländer. Nach zwei weiteren Schritten und überzeugt davon, dass die Brücke halten würde, ging sie normal weiter.
    Die Brücke knarrte unter ihrem Gewicht, was sie aber nicht weiter verunsicherte. Alle Brücken knarrten. Sie wackelte auch, und das sorgte sie mehr als das Knarren. Aber zum Umkehren war es nun zu spät. Sie hatte die Mitte erreicht. Durch die Spalten zwischen den Bohlen sah sie die reißende Strömung. Würde die Brücke einstürzen, wäre es um sie geschehen.
    Linker Hand strömten die Fluten, aus dem Wald kommend, in einer leichten Biegung auf sie zu. Mehrere Felsen ragten aus dem Flussbett und wühlten schäumende Wellen auf, die im Sonnenlicht glitzerten. Rechts von der Brücke wurde die Strömung noch reißender. Das Wasser sammelte sich in langen weißen Streifen, die über die Klippen sprangen und in der Tiefe verschwanden.
    Kat malte sich den Ernstfall aus. Wer hier fiel, hätte nur eine einzige Chance, und zwar in Form eines tiefhängenden Astes, der kurz vor der Abrisskante weit übers Wasser hing und für jemanden, der im Fluss trieb und abzustürzen drohte, erreichbar war. Ihr schauderte allein schon bei der Vorstellung.
    Zum Glück hatte Eric zu ihr aufgeschlossen, und sie musste nicht länger über Dinge nachdenken, die sie nervös machten. Um sich abzulenken, fragte sie: «Wie lange wirst du in der Stadt bleiben?»
    «Ein paar Wochen», antwortete Eric. «Ich muss noch alles zusammenpacken und das Haus verkaufen.»
    «Deine Mutter war eine gute Frau. Es hat mir schrecklich leidgetan, als ich hörte, dass sie an Krebs erkrankt ist.»
    Kat hatte eigentlich an der Beerdigung teilnehmen wollen, sich aber dann doch anders entschieden, weil sie ein Wiedersehen mit Eric unter diesen Umständen gescheut hatte. Jetzt allein mit ihm auf dieser Brücke zu sein war schon verfänglich genug.
    Aber auch irgendwie spannend. Sie kam sich für eine Weile vor wie das College-Mädchen von damals, gerade von ihren Zahnspangen erlöst, und Eric verwandelte sich zurück in den süßen Studenten mit Buddy-Holly-Brille. Plötzlich kamen ihr Dinge wieder in den Sinn, an die sie Jahrzehnte nicht mehr gedacht hatte. Die meisten Erinnerungen waren gut. Nur eine nicht.
    «Gehen wir weiter?», fragte sie.
    Sie erreichten das andere Ende der Brücke. Von dem Pfad dahinter war kaum mehr etwas zu erkennen, nur noch ein lehmiger Saum, der steil abwärts zum Fuß des Wasserfalls führte. Kat holte tief Luft und machte sich an den Abstieg. Eric

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